Long-COVID: Neue Forschungsergebnisse und mögliche Therapie-Optionen

Ursachenforschung schreitet voran, Hirnstimulation-Methoden als Behandlung diskutiert

Es herrscht ein akuter Bedarf an verbesserten Diagnosemethoden und wirksamen Therapieansätzen für Long COVID: Gemäß den Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind etwa 36 Millionen Menschen in Europa von langfristigen Auswirkungen einer Corona-Infektion betroffen. In den bislang verfügbaren populationsbasierten Kohorten-Forschungen schätzen Expert:innen die Häufigkeit von Long COVID auf rund sechs bis 15 Prozent (Global Burden of Disease Long COVID Collaborators 2022; Peter et al. 2022; Thompson et al. 2022). Etwa ein Drittel der Betroffenen leidet unter Neuro-Covid.

Schon früh in der Pandemie wurde erkannt, dass SARS-CoV-2 nicht nur eine Erkrankung der Atemwege ist, sondern auch verschiedene andere Organsysteme betreffen kann, einschließlich des zentralen Nervensystems (ZNS). Die Mechanismen, durch die das Virus neurologische Probleme verursacht, sind vielfältig und können direkte virale Invasion, Entzündungsreaktionen, immunvermittelte Schäden und die Bildung von Blutgerinnseln einschließen.

Kognitive Beeinträchtigungen: Aktuelle Forschungsergebnisse offenbaren überraschende Auswirkungen auf das Gehirn

Frühere Forschungen aus Wuhan deuteten bereits auf ein gesteigertes Risiko für Demenzerkrankungen nach schweren COVID-19-Infektionen hin 1. Aktuelle Erkenntnisse britischer Wissenschaftler:innen legen nun nahe, dass speziell bei Personen über 50 Jahren ein deutlicher Rückgang der kognitiven Funktionen zu verzeichnen ist.

Ein britisches Forschungsteam, zu dem auch Prof. Anne Corbett von der University of Exeter Medical School gehört, eine Expertin auf dem Gebiet der Demenz und kognitiven Gesundheit im Alter, hat sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf die kognitive Verfassung älterer Menschen auseinandergesetzt. Grundlage ihrer Untersuchung waren die Daten der PROTECT-Studie 2. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal THE LANCET 3 publiziert.

Rückgang kognitiver Leistungen um 50 Prozent und erhöhtes Demenz-Risiko

Die Datenbasis der Untersuchung bestand aus einem kognitiven Assessment, an dem etwa 3.000 britische Bürger:innen im Alter von 50 bis 90 Jahren über einen längeren Zeitraum teilnahmen. Diese Tests zielten darauf ab, geistige Kompetenzen wie logisches Denken, Problemlösefähigkeit und Gedächtnisleistung zu evaluieren. Die daraus resultierenden Befunde waren eindeutig: „Die Covid-19-Pandemie hat zu einer erheblichen Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen bei älteren Erwachsenen geführt“, und zudem sei das Demenzrisiko in dieser Periode merklich gestiegen.

Die fortlaufende Verschlechterung des geistigen Zustands bei den über 50-Jährigen in Großbritannien während der Covid-Pandemie gibt Anlass zur Besorgnis. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie hat sich ein Rückgang der kognitiven Leistung um 50 Prozent gezeigt, was auch mit einem gestiegenen Risiko für Demenzerkrankungen einhergeht.

US-Studie: Blut-Biomarker markieren Immunstörungen bei Long-COVID

Um das volle Ausmaß und die Mechanismen von Long-Covid besser zu verstehen sowie wirksame Behandlungen für betroffene Patient:innen bereitzustellen, wird weltweit intensiv geforscht. Jetzt identifizierten amerikanische Wissenschaftler:innen spezifische Blut-Biomarker bei Patient:innen mit Long-COVID. Diese wegweisende Untersuchung offenbart deutliche Abweichungen in den Immun- und Hormonreaktionen zwischen Long-Covid-Betroffenen und nicht betroffenen Personen.

Die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention berichten, dass einer von dreizehn Erwachsenen in den USA (dies entspricht 7,5 Prozent) Symptome aufweist, die auch drei Monate nach einer COVID-19-Erkrankung noch andauern und sich u. a. als kognitive Beeinträchtigungen wie „Gehirnnebel“, extreme Müdigkeit (Fatigue), Atemnot und chronische Schmerzen äußern. Die genauen Ursachen dieser anhaltenden Beschwerden sind bislang unbekannt. Die neue Studie der Icahn School of Medicine am Mount Sinai und der Yale School of Medicine  liefert neue Erkenntnisse, die zur Erklärung dieser Symptome beitragen könnten.

Die Forschungsgruppe untersuchte von Januar 2021 bis Juni 2022 insgesamt 271 Patienten an drei Orten: Mount Sinai-Union Square, Mount Sinai Union Square und der Yale School of Medicine. Sie kategorisierten die Teilnehmer in drei Gruppen: Personen ohne frühere SARS-CoV-2-Infektion, solche, die sich von COVID-19 vollständig erholt hatten, und Patient:innen mit anhaltenden Long-COVID-Symptomen nach einer bestätigten Infektion (die mediane Dauer der Langzeitsymptome lag bei 12 Monaten nach der Infektion).

Algorithmus identifiziert Long-Covid-Erkrankte mit einer Genauigkeit von 96 Prozent

Alle Proband:innen wurden aufgefordert, umfassende Fragebögen zu ihren Symptomen, ihrer medizinischen Vorgeschichte und ihrer Lebensqualität auszufüllen. Dann entnahmen die Forschenden Blutproben, ermittelten Biomarker-Differenzen und -Gemeinsamkeiten unter den Teilnehmer:innen und setzten maschinelles Lernen ein, um jene Biomarker zu ermitteln, die am effektivsten waren, um von Long-COVID betroffene Patient:innen durch den Algorithmus zu identifizieren.

Der Algorithmus konnte Personen mit und ohne Long-COVID mit einer Genauigkeit von 96 Prozent unterscheiden, indem er Merkmale identifizierte, die in den Blutproben der Long-COVID-Gruppe auffällig waren. Markante Differenzen, die die Long-COVID-Gruppe von den Kontrollgruppen abhoben, standen in Zusammenhang mit Störungen des Immunsystems und Hormonungleichgewichten.

Diese Unterschiede zeigten sich durch Biomarker, die auf ungewöhnliche T-Zellen-Aktivität, die Reaktivierung diverser schlummernder Viren (darunter Epstein-Barr und andere Herpesviren) sowie auf eine beträchtliche Senkung des Cortisolspiegels hinwiesen.

Ein „Allheilmittel“ für Long-COVID gibt es nicht, da es sich um eine Erkrankung handelt, die komplexe Systeme wie Immun- und Hormonregulierung beeinflusst. Solch komplexe Krankheitsbilder benötigen vielschichtige Behandlungsansätze. Es bedarf dringender und beschleunigter Forschung, um Long-COVID tiefgreifender zu verstehen und innovative, vielversprechende Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, so die Forschenden in der am 25. September 2023 in NATURE veröffentlichte Studie 4.

Nicht-invasive Hirnstimulations-Verfahren als vielversprechende Behandlungsansätze

Innovative, vielversprechende Behandlungsmöglichkeiten können auch nicht-invasive Hirnstimulationsmethoden darstellen: Das Schweizerische „Altea Long Covid Network“, ein Zusammenschluss von Expert:innen verschiedener Fachbereiche und unterstützt durch das Schweizerische Eidgenössische Department des Inneren EDI, Bundesamt für Gesundheit BAG, berichtet zusammenfassend, wie nicht-invasive Hirnstimulationsmethoden derzeit in klinischen Studien zur Behandlung von Long COVID-Patient:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen untersucht werden.

Im Fokus dabei: Die tiefe Magnetstimulation (TMS), die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die Transkranielle Pulsstimulation (TPS). Die drei Technologien nutzen verschiedene Arten physikalischer Signale: Die tiefe Magnetstimulation (TMS) arbeitet mit einem Magnetfeld, um das Gehirn zu stimulieren, die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) setzt niedrigenergetische Stoßwellen ein, die zielgenau in alle Bereiche des Gehirn eingeleitet werden können und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) verwendet kontinuierlichen Gleichstrom. Die Art der Gehirnstimulation variiert je nach eingesetzter Technik.

Gemäß den europäischen Leitlinien von 2020 hat sich die transkranielle Magnetstimulation (TMS) als effektiv in der Behandlung von neuropathischen Schmerzen, motorischen Defiziten nach Schlaganfällen und Depressionen herausgestellt. Sie kann auch Symptome bei Fibromyalgie, Parkinson, Aphasie infolge eines Schlaganfalls, Multipler Sklerose und posttraumatischer Belastungsstörung verbessern.

In ähnlicher Weise wie die TMS und TPS wurde auch die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) als effektive Behandlungsmethode bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Zuständen anerkannt.

Transkranielle Pulsstimulation (TPS) mögliche Behandlungsform verschiedener Indikationen

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) zeigte schon nach einer kurzen Anwendungsdauer positive Effekte auf Kognition, Gedächtnis und depressive Symptome bei Alzheimer-Patient:innen. Sie wird als mögliche Behandlungsform für eine Reihe neurologischer Erkrankungen erforscht, einschließlich Depression, Alzheimer, Parkinson, Autismus-Spektrum-Störungen und Fatigue.

In mehreren klinischen Studien wird aktuell der potenzielle Nutzen für Long-COVID-Patient:innen mit kognitiven und neurologischen Symptomen sowie Erschöpfungszuständen erforscht.

Vor diesem Hintergrund, so das Altea-Netzwerk, könnten die nicht-invasive Gehirnstimulations-Verfahren einen konstruktiven Ansatz in der Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Störungen darstellen. Dies gälte insbesondere für Patient:innen, die auf konventionelle Therapien nicht reagieren 5.

Quellen:

1 https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/2789919
2 https://www.protectstudy.org.uk
3 https://www.thelancet.com/journals/lanhl/article/PIIS2666-7568%2823%2900187-3
4 https://www.nature.com/articles/s41586-023-06651-y
5 https://altea-network.com/blog/132-non-invasive-brain-stimulation