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Wer wendet Hirnstimulation an?

NIBS zunehmend in Kliniken und Praxen verfügbar

Wer wendet Hirnstimulation an?

Renommierte Forschungseinrichtungen, Kliniken und auch Praxen arbeiten mit Hirnstimulations-Verfahren (NIBS)

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Hirnstimulation als solche von einer experimentellen Technik zu einem Schlüsselelement in der neurologischen und psychiatrischen Therapie entwickelt. Diese teils invasiven, aber vermehrt auch nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren, bekannt als NIBS, haben in der medizinischen Gemeinschaft für Aufsehen gesorgt, da sie neue Türen für die Behandlung von Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz oder Parkinson, aber auch Depressionen, chronischen Schmerzen und Schlaganfallfolgen öffnen.

Trotz ihrer zunehmenden Verbreitung in Kliniken und an renommierten Universitäten weltweit, bleibt das Wissen über diese revolutionären Methoden in der breiten Öffentlichkeit bislang  jedoch begrenzt. Angesichts dieses Informationsdefizits fordern führende Fachgesellschaften eine verstärkte Aufklärung über die Potenziale und Anwendungsbereiche der Hirnstimulation. Im Folgenden beleuchten wir, weshalb und inwieweit sich die verschiedenen Hirnstimulations-Methoden bereits als für die Patient:innen zugängliche Therapie-Optionen etabliert haben und warum eine breitere Kenntnis über diese Behandlungsformen für die Zukunft der Medizin so entscheidend ist.

Hirnstimulation in den Leitlinien: Tiefe Hirnstimulation (THS/DBS) macht den Anfang

Die Tiefe Hirnstimulation (THS) markiert einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Hirnstimulationstechnologien. Dieser neurochirurgische Eingriff, der seit über 25 Jahren angewendet wird, hat sich in seiner Weiterentwicklung als eine sichere und effektive Behandlungsmethode für motorische Symptome bei Morbus Parkinson etabliert. Mittlerweile wurde die THS nach vielen Jahren der Forschung und rund 11-jähriger Langzeitbeobachtung in die medizinischen Leitlinien aufgenommen1, ein Zeugnis für ihre Bedeutung und Wirksamkeit in der neurologischen Therapie.

Allerdings ist die THS nicht ohne Herausforderungen: Es handelt sich um ein neurochirurgisches Verfahren, das einen stationären Krankenhausaufenthalt erfordert und mit bestimmten Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist. Dennoch steht die THS beispielhaft für den Fortschritt in der Hirnstimulation – als erstes Verfahren aus dem Bereich der Hirnstimulation, das eine breite Anerkennung und Anwendung gefunden hat.

Nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) auf dem Weg zu den Patient:innen

Auch verschiedene nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) haben in der Behandlung von psychischen und neurologischen Störungen erhebliche Fortschritte gemacht. TMS nutzt magnetische Pulse zur Behandlung verschiedener Störungen, wobei sowohl erregende als auch hemmende Protokolle eingesetzt werden. Neuere Ansätze konzentrieren sich auf eine verkürzte Behandlungsdauer, ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen.

TDCS überträgt niedrig-amplitudige elektrische Ströme zwischen auf der Kopfhaut platzierten Elektroden und beeinflusst die neuronale Erregbarkeit durch Förderung oder Hemmung der synaptischen Übertragung. Die Wirksamkeit von tDCS hängt von verschiedenen Parametern ab, wie der Dauer der Stimulation und der Positionierung der Elektroden.

Immer mehr Studien zeigen, dass NIBS-Techniken bei der Behandlung von Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, PTSD und Schizophrenie wirksam sein können, obwohl die Ergebnisse in Bezug auf die Wirksamkeit und die Heterogenität variieren. Diese Fortschritte unterstreichen das Potenzial dieser Therapien als vielversprechende Behandlungsansätze mit größerer Spezifität, weniger Nebenwirkungen und geringerer Belastung als traditionelle Therapien​.

Transkranielle Pulsstimulation (TPS): Besonders effektiv mit großer Indikationsbandbreite

Unter den nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren (NIBS) hebt sich die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) durch ihre besondere Verträglichkeit und Effektivität hervor. TPS, ein besonders fortschrittliches NIBS-Verfahren, hat sich bei einer breiten Palette von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen bewährt, darunter bei Demenz – insbesondere Alzheimer-Krankheit –, Parkinson, Depressionen, Fatigue, ADHS und Autismus.

Im Gegensatz zu anderen NIBS-Methoden wie TMS und tDCS, die eine weniger tiefe und nicht so exakte Eindringtiefe haben und mit intensiveren Behandlungsregimen verbunden sein können, zeichnet sich TPS durch eine besonders patientenfreundliche Anwendung aus. Mit nur wenigen ambulanten Therapiesitzungen bietet TPS eine effiziente Behandlungsoption, die sich durch geringe Nebenwirkungen und hohe Patientenakzeptanz auszeichnet. Dies macht TPS zu einem vielversprechenden und zugänglichen Ansatz in der modernen neurologischen und psychiatrischen Behandlung.

Forschung macht NIBS-Methoden  für Patient:innen zunehmend verfügbar

Hirnstimulations-Verfahren werden weltweit, vor allem auch von führenden Universitäten und Kliniken, eingesetzt. Sie tragen durch umfangreiche Forschung und Entwicklung maßgeblich zum Fortschritt in der Anwendung von Hirnstimulationsverfahren bei. In den USA gehören beispielsweise Stanford Medicine2, die Cleveland Clinic3, die Emory University School of Medicine4 und die Johns Hopkins University5 zu den führenden Einrichtungen. In Europa sind es unter anderem das Trinity College Dublin6, die Universität Kent7, das niederländische Donders Institute, Radboud University Nijmegen8, das Imperial College London9, die University of Nottingham10, die Universität Oxford11 und die die ETH Zürich12, die – neben vielen anderen Institutionen –  maßgeblich an der Erforschung und am Einsatz der NIBS beteiligt sind.

NIBS halten Einzug in die Therapieangebote in Kliniken und niedergelassenen Praxen

Immer mehr Kliniken und Praxen integrieren nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) in ihren Praxisalltag, um das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten zu erweitern. Diese Entwicklung ist ein Zeichen für den wachsenden Konsens über die Effektivität und Patientenfreundlichkeit dieser Verfahren. NIBS bieten auch für niedergelassene Neurolog:innen und Psychiater:innen innovative Ansätze zur Behandlung einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, was sie zu einer wertvollen Ergänzung in der modernen medizinischen Praxis macht. Ihre zunehmende Verbreitung in der klinischen Anwendung unterstreicht das Potenzial, das diese Technologien für eine effektivere und zielgerichtete Patientenversorgung bieten.

NIBS-Methoden sind besonders praktikabel für den alltäglichen medizinischen Gebrauch, wobei die TPS aufgrund ihrer Patientenfreundlichkeit und Effektivität hervorsticht. Bisher konnten beispielsweise mit der TPS bereits über 10.000 Patienten ambulant behandelt werden.

Mehr öffentliches Bewusstsein für NIBS schaffen: Gesellschaftliche Information noch deutlich zu gering

Die breite Öffentlichkeit und damit vor allem von neurodegenerativen und neurophysiologischen Erkrankungen Betroffene und deren Angehörige, sind bisher nur begrenzt über nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) wie TMS, tDCS und TPS informiert, da auch die Medienberichterstattung über nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) nicht mit dem wissenschaftlichen Interesse und den klinischen Anwendungen Schritt zu halten scheint.

Obwohl NIBS zunehmend in der Behandlung neurologischer und neuropsychiatrischer Störungen eingesetzt wird, fehlt es an konsistenter und umfassender Berichterstattung in den Mainstream-Medien. Dies könnte teilweise an der methodologischen Vielfalt der NIBS-Studien liegen, die eine einheitliche Darstellung erschwert. Es besteht also ein großer Bedarf an verbesserter öffentlicher Aufklärung und Information über diese innovativen Behandlungsmethoden​, wie etwa das „Center for Responsible Research and Innovation (CeRRi)“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen und internationalen Partnern in seinen Richtlinien für die Entwicklung und Einführung der „Non-Invasive Brain Stimulation (NIBS)“ ausgearbeitet hat.

In diesem „STIMCODE – Participative developed recommendations for non-invasive brain stimulation in the European Union“ titulierten Whitepaper vom Juli 2023 fordern die Autor:innen unter anderem, dass die Gesellschaften umfangreicher über die Möglichkeiten der NIBS informiert werden müssen (siehe hierzu: https://alzheimer-science.com/news/neurowissenschaften/nicht-invasive-hirnstimulation-essenziell-gesundheitsversorgung).

NIBS – neue Ära mit Behandlungen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich steigern können

Nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren (NIBS) öffnen, zusammenfassend formuliert, neue Horizonte in der Medizin und markieren den Beginn einer neuen Ära in der Behandlung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Mit Technologien wie TMS, tDCS und TPS bieten sie innovative und patientenfreundliche Behandlungsoptionen, die das Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten wesentlich erweitern. Insbesondere ihre Anwendung bei therapieresistenten Fällen zeigt vielversprechende Ergebnisse.

Trotz der aktuellen Herausforderungen, wie der Notwendigkeit einer stärkeren Standardisierung und breiteren öffentlichen Aufklärung, stellen NIBS einen bedeutenden Fortschritt in der personalisierten Medizin dar. Sie repräsentieren nicht nur eine Ergänzung zu bestehenden Therapien, sondern auch einen Schritt hin zu einer präziseren und effektiveren Behandlung, die das Leben von Patient:innen mit komplexen neurologischen und psychischen Erkrankungen nachhaltig verbessern kann. In Zukunft könnten NIBS dazu beitragen, die Grenzen des medizinisch Machbaren neu zu definieren und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich zu steigern.

Quellen und Verweise:

1 https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4913104
2 https://med.stanford.edu/news/all-news/2024/01/brain-stimulation-hypnosis.html
3 https://my.clevelandclinic.org/podcasts/neuro-pathways/non-invasive-brain-stimulation-whats-possible-whats-on-the-horizon
4 https://med.emory.edu/departments/neurosurgery/research/entice/neuromodulation.html
5 https://www.hopkinsmedicine.org/physical-medicine-rehabilitation/specialty-areas/neuro-rehab/brain-stimulation/treatment
6 https://www.tcd.ie/Neuroscience/research/platform.php
7 https://blogs.kent.ac.uk/development/2023/11/22/non-invasive-brain-stimulation-nibs-for-parkinsons-disease
8
9 https://www.imperial.ac.uk/news/248635/surgery-free-brain-stimulation-could-provide-treatment
10 https://www.institutemh.org.uk/research/centre-for-mood-disorders/about-centre-for-mood-disorders/1518-new-network-to-develop-non-invasive-brain-stimulation-therapies
11 https://www.ndcn.ox.ac.uk/research/physiological-neuroimaging-group/techniques/non-invasive-brain-stimulation-nibs
12 https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/556483

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