Mechanotransduktion und ihre Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen
Review der Universität Perugia fasst aktuellen Stand der Forschung zusammen
Unter Mechanotransduktion versteht man biologische Prozesse, bei denen Zellen mechanische Reize aus ihrer Umgebung aufnehmen und in biochemische Signale umwandeln. Diese Umwandlung ermöglicht es den Zellen, auf Veränderungen in ihrer mechanischen Umgebung zu reagieren und entsprechend zu agieren.
Diese Prozesse spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen biologischen Funktionen und Prozessen, darunter Zellwachstum, -differenzierung, -migration und Geweberegeneration. Mechanotransduktion ist auch an der Wahrnehmung von Berührungen und Druck im Nervensystem beteiligt. Mechanotransduktion involviert verschiedene zelluläre Komponenten wie Rezeptoren, Ionenkanäle, und das Zytoskelett. Wenn eine Zelle einem mechanischen Reiz ausgesetzt wird, können sich diese Komponenten verändern, was zu einer Kaskade von intrazellulären Ereignissen führt, die schließlich eine zelluläre Antwort auslöst. Diese Antwort kann beispielsweise in Form von Veränderungen in der Genexpression, der Aktivierung von Signalwegen oder der Freisetzung von Molekülen sein.
Insgesamt ist Mechanotransduktion ein komplexer und vielfältiger Prozess, der für die Aufrechterhaltung der normalen Funktion von Geweben und Organen im menschlichen Körper unerlässlich ist – und therapeutisch genutzt werden kann.
Grundfunktionen der Mechanotransduktion: Erhebliche Fortschritte im Verständnis der Prozesse
In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte beim Verständnis der Mechanotransduktion gemacht. Allerdings gibt es immer noch viele Aspekte dieses Prozesses, die nicht vollständig verstanden sind. Ein Grund dafür ist, dass die Mechanotransduktion in verschiedenen Zelltypen und Geweben auf unterschiedliche Weise abläuft und durch eine Vielzahl von mechanischen Reizen beeinflusst werden kann. Diese Reize können von der Zelle selbst (autokrin), von benachbarten Zellen (parakrin) oder aus der weiteren Umgebung (endokrin) stammen. Die Art und Weise, wie Zellen auf diese Reize reagieren, kann auch durch den Zustand der Zelle, ihre Umgebung und durch genetische Faktoren beeinflusst werden.
Dabei ist es schwierig, die mechanischen Kräfte, die auf Zellen einwirken, genau zu messen und zu manipulieren. Zudem sind viele der molekularen Komponenten, die an der Mechanotransduktion beteiligt sind, erst in den letzten Jahren entdeckt worden, und ihre genauen Funktionen und Wechselwirkungen sind daher noch nicht vollständig geklärt.
Doch trotz dieser Herausforderungen haben Forschende wichtige Entdeckungen über die Mechanotransduktion gemacht, und es gibt aktive Forschungsbereiche, die sich darauf konzentrieren, die Mechanismen und Funktionen der Mechanotransduktion weiter aufzuklären. Diese Forschung hat das Potenzial, neue Ansätze für die Behandlung verschiedener Krankheiten und Zustände zu eröffnen bzw. zu erklären, bei denen die Mechanotransduktion eine Rolle spielt.
Auch das Neurostimulationsverfahren Transkranielle Pulsstimulation (TPS), das auf niedrigenergetischen Stoßwellen basiert, nutzt die Eigenschaften der Mechanotransduktion, um auf den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz Einfluss zu nehmen.
Rolle der Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen umfassend beleuchtet
Die jüngsten Fortschritte bei der Charakterisierung der biochemischen Mechanosensor- und Mechanotransduktionswege in Zellen mit besonderem Augenmerk auf ihre Rolle bei der Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen beleuchtet hat ein Forschungsteam um Studienleiterin Illaria Tortorella von der Universität Perugia, Italien. In einem umfassenden Review rekapitulieren die Wissenschaftler:innen die allgemeinen Konzepte der Mechanobiologie und die Mechanismen, die den Mechanosensor- und Mechanotransduktionsprozessen zugrunde liegen, und untersuchen die Wechselwirkungen zwischen mechanischen Reizen und intrazellulären biochemischen Reaktionen, wobei sie deren Auswirkungen auf die Homöostase und Dysfunktion zellulärer Organellen hervorheben.
Die Forschenden stellen fest, dass die mechanistischen Komponenten mittlerweile weitgehend aufgeklärt sind, das Zusammenspiel zwischen mechanischen Kräften und löslichen intrazellulären Signalen jedoch noch immer nicht vollständig geklärt ist.
In der Diskussion konzentrieret sich das Forschungsteam vor allem darauf, den aktuellen Kenntnisstand zur Umwandlung von mechanischen in biochemische Signale zu beleuchten, insbesondere im Kontext von Krankheiten, die durch eine metabolische Anreicherung fehlgefalteter Proteine charakterisiert sind und die Bildung pathologischer intrazellulärer Aggregate als Hauptmerkmal aufweisen. Dies trifft auf Erkrankungen wie Alzheimer, Huntington, Amyotrophe Lateralsklerose und Parkinson zu.
Die neuesten Forschungsergebnisse zeigen deutlich auf, dass die Mechanosensorik und die Mechanotransduktionsprozesse entscheidend für das Verständnis der pathologischen Mechanismen sind, die neurodegenerativen Krankheiten zugrunde liegen. Zudem heben sie die Relevanz dieser Prozesse für die Auffindung möglicher therapeutischer Ansatzpunkte hervor.
Mittlerweile wurden mechanobiologische Veränderungen auf verschiedenen zellulären Ebenen im Zusammenhang mit Alzheimer festgestellt, was zu neuen Forschungswegen bzgl. dieser Signalwege in der Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit geführt hat.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass mechanosensitive Ionenkanäle dabei eine Schlüsselrolle spielen. Die Mechanotransduktion soll unter anderem zu einer Erhöhung der Zellpermeabilität führen sowie die Konzentration von Neurotransmittern (Erhöhung Serotonin und Dopamin, Verringerung GABA) und neurotrophen Wachstumsfaktoren (Erhöhung VEGF, BDNF und GDNF) verändern.
Zellen als Ganzes agieren als Mechanosensoren
Obwohl intensiv daran geforscht wird, die Funktion der Mechanotransduktion zu entschlüsseln und neue zelluläre Komponenten zu identifizieren, die an der Detektion und Weiterleitung mechanischer Signale beteiligt sind, muss man verstehen, dass die Zelle in ihrer Gesamtheit im Grunde genommen als Mechanosensor agiert. Die spezifische Antwort auf diverse mechanische Stimuli wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, wie den Zelltyp, die Zellform und die sorgfältige Koordination komplizierter dynamischer Signalnetzwerke.
Diese zelluläre Reaktionsweise lässt sich im Wesentlichen auf Veränderungen in der viskoelastischen Eigenschaft der Zelle zurückführen. Diese basieren primär auf den dynamischen Wechselwirkungen der zentralen Zytoskelett-Bestandteile: Aktinfasern, Mikrotubuli und Intermediärfilamente. Diese drei Elemente organisieren und vernetzen sich gegenseitig mithilfe von Motorproteinen und Bindungen, was zur Entstehung von Strukturkomplexen führt. Diese reichen von starreren Formationen (wie Stäbchen) bis zu flexibleren Strukturen (wie Spulen), wodurch die Zelle ihre spezifischen mechanischen Charakteristika erhält.
Letztlich nimmt die Zelle aufkommende Kräfte wahr, wobei die erzeugte Spannung durch das Zytoskelett bis in den Zellkern übertragen wird. Dort werden mechanische Stimuli in Veränderungen der genetischen Aktivitätsmuster umgewandelt, was wiederum spezifische Zellfunktionen anregt. Diese Antwort resultiert aus der Interaktion von zwei komplexen und miteinander verbundenen Signalwegen, bekannt als „Mechanosensing“ und „Mechanotransduktion“. Mechanosensing bezeichnet die Fähigkeit der Zelle, Veränderungen in ihrer mechanischen Umgebung zu erkennen. Mechanotransduktion hingegen umfasst die gesamte Bandbreite molekularer Prozesse, die extrazelluläre Kräfte in lösliche biochemische Signale umwandeln. Diese Signale regen spezifische Zellaktivitäten an und umfassen auch die Prozesse, durch welche die Zellen zelluläre Kräfte erzeugen, um die Eigenschaften ihrer Mikroumgebung zu modifizieren. Beide Prozesse arbeiten zusammen, um ein breites Spektrum an mechanischen Signalen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Zelle zu integrieren.
In ihrer Arbeit präsentieren die Forschenden eine ganze Reihe bedeutender Studien, die dazu beitragen, die enge Verbindung zwischen der zellulären Homöostase und dem Gleichgewicht mechanischer Eigenschaften der Zellen zu klären.
Zusammenfassend unterstreichen sie die Relevanz der Erforschung von Homöostase und Dysfunktion zellulärer Organellen für ein tieferes Verständnis der Mechanotransduktionsprozesse. Obwohl bereits einige Überlappungen zwischen den Wirkmechanismen löslicher Signalmoleküle und mechanischen Kräften entschlüsselt werden konnten, ist weitere Forschung notwendig.
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