Nicht-invasive Hirnstimulation öffnet Blut-Hirn-Schranke

US-Wissenschaftler:innen demonstrieren, wie Ultraschall Medikamente in das Gehirn einbringen kann

Wie Verfahren der nicht-invasiven Hirnstimulation (NIBS) den Nutzen medikamentöser Therapien erhöhen können, haben jetzt Forschende des WVU Rockefeller Neuroscience Institute (RNI) in West Virginia, USA, in einer Pilotstudie abermals nachgewiesen. Die Arbeit wurde in der ersten Januarwoche 2024 im New England Journal of Medicine publiziert. Auch die Stoßwellen der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) erzielen diesen Effekt.

Blut-Hirn-Schranke für viele Medikamente nicht durchdringbar

Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) ist eine wichtige Schutzbarriere im menschlichen Gehirn, die das Eindringen von schädlichen Substanzen aus dem Blutkreislauf in das Gehirngewebe verhindert. Ein Hauptgrund, warum viele Medikamente die BHS nicht überwinden können, liegt in ihrer chemischen und physikalischen Beschaffenheit. Die BHS lässt vorwiegend kleine, lipophile (fettlösliche) Moleküle passieren, während größere oder hydrophile (wasserlösliche) Moleküle oft ausgeschlossen werden. Viele Medikamente sind entweder zu groß oder nicht lipophil genug, um die BHS zu durchdringen.

Zusätzlich spielen spezifische Transportmechanismen eine Rolle. Einige Substanzen werden aktiv durch Transportproteine über die BHS transportiert, während andere durch Efflux-Pumpen aktiv herausgefiltert werden. Diese Pumpen, wie z.B. die P-Glykoprotein-Pumpe, spielen eine wichtige Rolle beim Schutz des Gehirns, können aber auch die Wirksamkeit von Medikamenten beeinträchtigen, indem sie sie aus dem Gehirngewebe heraustransportieren, bevor sie wirken können.

Hirnstimulation kann die normalerweise undurchlässige Schranke überwinden

Neueste Studien haben gezeigt, dass etwa Ultraschallwellen unter bestimmten Bedingungen diese Schranke sicher und reversibel öffnen können. Diese Technik bietet das Potenzial, die Effektivität von Medikamenten zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen zu verbessern, indem sie den Medikamenten ermöglicht, die normalerweise undurchlässige Schranke zu überwinden und direkt ins Gehirngewebe zu gelangen. Dieser Ansatz könnte eine bedeutende Rolle in der Behandlung von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder bei Hirntumoren spielen, indem er eine gezieltere und wirksamere Medikamentenabgabe ermöglicht.

Verringerung der Beta-Amyloid-Konzentration in Gehirnregionen, die mit Ultraschall bestrahlt wurden

In ihrer Pilotstudie erforschten US-Wissenschaftler vom RNI um den Neurowissenschaftler Ali Rezai die Anwendung von Ultraschall bei der Behandlung von Demenz-Patient:innen. Sie nutzten dabei Aducanumab, das erste in den USA zugelassene Medikament gegen Beta-Amyloid, welches allerdings von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) nicht für die Behandlung von Alzheimer-Demenz freigegeben wurde. Dieser monoklonale Antikörper zielt darauf ab, die für Alzheimer charakteristischen Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn zu reduzieren, die vermutlich eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Krankheit spielen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass die Biotech-Substanz effektiv ins Gehirn gelangen muss, um ihre Wirkung entfalten zu können.

Das  Forschungsteam führte eine Behandlung bei drei Patient:innen durch, die im Alter von 77, 59 und 64 Jahren waren und im Laufe des Jahres 2023 mit Morbus Alzheimer diagnostiziert wurden. Diese Patient:innen erhielten monatliche Infusionen des Medikaments Aducanumab. Zusätzlich wurde zeitgleich eine Ultraschalltherapie an einer Seite des Gehirns angewandt. Die Öffnung der Blut-Hirn-Schranke konnte durch komplexe bildgebende Verfahren für einen Zeitraum von 24 bis 48 Stunden nachgewiesen werden. Im Verlauf der Behandlung wurden die Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn gemessen und mit den Ablagerungen in jener Gehirnhälfte verglichen, die nicht mit Ultraschall behandelt wurde.

Studienleiter Ali Rezai vom RNI zeigt sich zuversichtlich hinsichtlich der Ergebnisse der Studie. Er betrachte diesen Fortschritt als eine neue Hoffnung für die Behandlung der 6,7 Millionen Amerikaner:innen, die von Alzheimer betroffen sind, und sehe darin einen wichtigen Schritt zur Bewältigung dieses dringenden medizinischen Bedarfs, so der Neurowissenschaftler.

Stoßwellen-Therapie Transkranielle Pulsstimulation (TPS) öffnet ebenfalls Blut-Hirn-Schranke

Bei der niedrigenertischen Stoßwellen der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) zeigen sich diese Effekte ebenfalls, wie etwa TPS-Forscher Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Sprick, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) vom Alexius/Josef Krankenhaus in Neuss berichtet: „Die Blut-Hirn-Schranke wird für einen gewissen Zeitraum durch die TPS geöffnet oder auch ganz aufgehoben. Dies ist wissenschaftlich belegt. Und in dieser Zeit der Öffnung oder gänzlichen Aufhebung dieser Schranke können wiederum medikamentöse Wirkstoffe in das Gehirn gelangen und dort an den richtigen Stellen ihre Wirkung optimal entfalten. Das war bisher immer das Problem, dass medikamentöse Wirkstoffe nicht wirklich dorthin gelangen konnten, wo sie benötigt werden. Mit der TPS haben wir endlich einen Türöffner gefunden.“ (siehe auch: https://alzheimer-science.com/news/interviews-und-meinungen/prof-sprick-forschung-tps-therapie)

Quelle:

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2308719