Gemeinsame genetische Defekte bei ALS und frontotemporaler Demenz

Neue Erkenntnisse zur Neurodegeneration

Manche Patient:innen, die entweder an Amyotropher Lateralsklerose/Motoneuronerkrankung (MND) oder an frontotemporaler Demenz (FTD) leiden, tragen dieselben seltenen genetischen Defekte, die auch andere neurodegenerative Erkrankungen verursachen. Diese als „Short Tandem Repeat Expansions“ bezeichneten Defekte sind die Ursache für mehr als 20 neurodegenerative Erkrankungen, darunter spinozerebelläre Ataxien und myotone Dystrophie.

Eine neue Studie der Macquarie University, Australien, deutet nun auf einen gemeinsamen Risikofaktor und Mechanismus hin, der bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen zum Absterben der Nervenzellen führt. Dies könnte in der Zukunft zu gemeinsamen Therapiestrategien führen.

Bislang umfassendste Untersuchung bestimmter Gendefekte bei ALS und FTD

Die Forschenden des Macquarie University MND Research Center und des Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research identifizierten die seltenen genetische Defekte im Genom einiger Menschen mit nicht vererbter oder sporadischer ALS/Motoneuronerkrankung (MND) und frontotemporaler Demenz (FTD).

Die Studie ergab, dass fast 18 % der sporadischen ALS- und FTD-Patient:innen eine DNA-Wiederholungsexpansion aufwiesen, von der man annimmt, dass sie auch an anderen degenerativen Erkrankungen beteiligt ist. Die australische Studie ist die bislang umfassendste Untersuchung dieser Gendefekte bei ALS- und FTD-Patient:innen weltweit.

Gemeinsame Risikofaktoren für das Absterben von Neuronen.

ALS/MND führt zum Absterben von Neuronen oder motorischen Nerven, die das Gehirn und das Rückenmark mit den Muskeln verbinden. Dies sind jene Zellen, die unsere Fähigkeit steuern, uns zu bewegen, zu atmen und zu schlucken. Die Krankheit verläuft fortschreitend und endet schließlich tödlich.

Die frontotemporale Demenz (FTD) führt ebenfalls zum Absterben von Neuronen in Teilen des Gehirns, was zu einer Reihe fortschreitender Symptome wie Gedächtnisverlust, ungewöhnlichem Verhalten, Persönlichkeitsveränderungen und Kommunikationsproblemen führt. Es handelt sich dabei um jene Form der Demenz, die kürzlich bei Schauspieler Bruce Willis diagnostiziert wurde. FTD betrifft im Gegensatz zur Alters-Demenz tendenziell meist Menschen unter 65 Jahren. Die Mehrzahl der Fälle beider Erkrankungen – etwa 90 Prozent bei MND und 60 –70 Prozent bei FTD – manifestiert sich sporadisch, der Rest tritt familiär gehäuft auf.

Lyndal Henden, Postdoktorandin an der Macquarie University sagt dazu, dass die Ergebnisse eine Überraschung gewesen seien: „Die Entdeckung dieses genetischen Zusammenhangs zwischen ALS und FTD bietet eine neue Chance, gemeinsame Risikofaktoren für den Tod von Neuronen aufzudecken und wird Auswirkungen auf das Verständnis beider Krankheiten haben.“

Ergebnisse könnten zu neuen therapeutischen Strategien beitragen.

Studienleiterin Kelly Williams, Associate Professor an der Macquarie University, ergänzt, dass das Team zwar vermutet hatte, dass es Überschneidungen mit anderen Krankheiten geben könnte, jedoch nicht in diesem Ausmaß: „Unsere Ergebnisse deuten auf gemeinsame Risikofaktoren dieser Krankheiten und auf gemeinsame Mechanismen hin, die zum Absterben von Nerven führen. Dies kann zu gemeinsamen therapeutische Strategien in der Zukunft führen. Zwar sind die Ursachen für sporadisches ALS und FTD weiterhin unbekannt. Aber dies ist ein wichtiger Schritt in dem langfristigen Bemühen, die Risikofaktoren für die Entwicklung einer dieser Krankheiten zu identifizieren.“

Die in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie ist der Höhepunkt von 10 Jahren Forschung, die ohne die Zusammenarbeit mit an ALS oder FTD erkrankten Patient:innen, die sowohl an der Macquarie University als auch an der Universität Sydney biologische DNA-Proben zur Verfügung gestellt hatten, nicht möglich gewesen wäre.

Quelle:

https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.ade2044