Fortschritte bei der Entschlüsselung des Gehirncodes für Depressionen

Neue Studie erweitert grundlegendes Verständnis neuronaler Schaltkreise bei Depressionen.

In einer neuen Studie, die am 16. März 2023 im Fachmagazin „Biological Psychiatry“ veröffentlicht wurde, wird unser grundlegendes Verständnis der Funktionsweise neuronaler Schaltkreise bei Depressionen im menschlichen Gehirn erweitert. Die Studie zeigt, dass Veränderungen der Gehirnaktivität im vorderen cingulären Kortex möglicherweise der aussagekräftigste Indikator für die Schwere einer Depression sind.

Klinische Depressionen zählen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen und können verheerende Auswirkungen haben. Die große Heterogenität und Komplexität der Krankheit erschweren die Behandlung von Depressionen. Störungen von Stimmung und Kognition sind weit verbreitet, beeinträchtigend und notorisch schwer zu therapieren.

Um die Behandlung von Depressionen voranzubringen, ist es notwendig, die erheblichen Lücken in unserem Verständnis der neurophysiologischen Grundlagen zu schließen. Zwar gibt es Medikamente zur Behandlung von Depressionen, jedoch sprechen etwa ein Drittel der Patient*innen nicht auf diese medikamentösen Erstlinientherapien an.

Technisch-physikalische Therapieansätze wie die Tiefe Hirnstimulation (THS) zielen darauf ab, den Patient*innen erhebliche Linderung zu verschaffen. Allerdings waren frühere Ergebnisse uneinheitlich. Um personalisierte Behandlungen zu entwickeln und bessere Therapieergebnisse zu erzielen, ist ein vertieftes Verständnis der neurophysiologischen Mechanismen der Depression erforderlich.

Der präfrontale Kortex nimmt eine bedeutende Rolle bei psychiatrischen und kognitiven Störungen ein und beeinflusst die Fähigkeit des Menschen, sich Ziele zu setzen und Gewohnheiten zu entwickeln. Die Untersuchung dieser hochentwickelten Gehirnregionen gestaltet sich in nichtmenschlichen Modellen besonders schwierig. Daher sind Daten, die aus menschlicher Gehirnaktivität gewonnen werden, von besonderem Wert.

Elektrophysiologische Aufzeichnungen aus präfrontalen kortikalen Regionen bieten wertvolle Einblicke.

Am Baylor College of Medicine in Houston, Texas, USA, führten die Forschenden unter der Leitung von Sameer Sheth, MD, PhD, gemeinsam mit Wayne Goodman, MD, und Nader Pouratian, MD, PhD, elektrophysiologische Aufzeichnungen von präfrontalen kortikalen Regionen bei drei menschlichen Proband*innen durch. Alle drei litten unter einer therapieresistenten Depression.

Die Forscher*innen führten elektrophysiologische Aufzeichnungen der neuronalen Aktivität von der Gehirnoberfläche mittels implantierten intrakraniellen Elektroden durch und erfassten über neun Tage hinweg die Schwere der Depression bei jedem Teilnehmer. Die Patient*innen unterzogen sich dafür einer Gehirnoperation im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zur Behandlung mit Tiefer Hirnstimulation (DBS).

Die Wissenschaftler*innen stellten fest, dass eine geringere Depressionsschwere mit einer reduzierten niederfrequenten neuronalen Aktivität und einer gesteigerten hochfrequenten Aktivität korrelierte. Zudem entdeckten sie, dass Veränderungen im anterioren cingulären Kortex (ACC) als der beste prädiktive Bereich für den Schweregrad einer Depression fungierten.

Neben dem ACC und in Übereinstimmung mit der vielfältigen Natur der Signalwege und Symptome von Depressionen identifizierten die Forscher*innen auch individuell spezifische Merkmale, die den Schweregrad der Erkrankung erfolgreich vorhersagten.

präfrontale Kortex - psychiatrische, kognitive Störungen - Depressionen - Alzheimer Science

Der präfrontale Kortex spielt eine bedeutende Rolle bei psychiatrischen und kognitiven Störungen und beeinflusst die Fähigkeit des Menschen, sich Ziele zu setzen und Gewohnheiten zu bilden.

Neue Erkenntnisse für den künftigen Einsatz von Hirnstimulationsverfahren von Bedeutung.

„Um Neuromodulationstechniken zur Behandlung komplexer psychiatrischer oder neurologischer Störungen anzuwenden, ist es idealerweise erforderlich, die zugrunde liegende Neurophysiologie zu verstehen„, erklärt Dr. Sheth zu der Studie. Weiter führt er aus: „Wir freuen uns, erste Fortschritte beim Verständnis erzielt zu haben, wie Stimmungen in menschlichen präfrontalen Schaltkreisen kodiert werden. Wenn mehr solcher Daten verfügbar sind, erhoffen wir uns, allgemeine und individuell spezifische Muster bei den betroffenen Personen identifizieren zu können. Diese Informationen werden bei der Entwicklung und Personalisierung von Therapieansätzen der nächsten Generation für Depressionen, wie etwa DBS, von entscheidender Bedeutung sein.“

John Krystal, MD, Herausgeber der Fachzeitschrift „Biological Psychiatry“, die im Verlag Elsevier erscheint, äußert sich zur Studie wie folgt: „Wir verfügen nun über eine wachsende Sammlung von Ansätzen, die dazu dienen können, die neuronalen Schaltkreise abzubilden und die zugrunde liegenden neuronalen Codes von Depressionen zu charakterisieren. Dieses Wissen wird die Hirnstimulationsverfahren der nächsten Generation unterstützen und die Art und Weise beeinflussen, wie wir Depressionen im Allgemeinen verstehen und behandeln.“

Ergebnisse der Studie:

Die Forschenden stellten fest, dass in allen präfrontalen Regionen eine verringerte Depressionsschwere mit einer reduzierten niederfrequenten neuronalen Aktivität und einer gesteigerten hochfrequenten Aktivität verknüpft ist. Bei der Beschränkung des Modells auf die Dekodierung mit einer einzigen Region erwies sich der vordere cinguläre Kortex als bester Prädiktor für den Schweregrad der Depression bei allen drei Proband*innen. Die Aufhebung dieser Einschränkung führte zur Identifizierung einzigartiger, individuell spezifischer Kombinationen aus räumlich-spektralen Merkmalen, die die Schwere der Symptome vorhersagten und die heterogene Natur der Depression widerspiegelten.

Schlussfolgerung

Die Fähigkeit, den Schweregrad einer Depression anhand neuronaler Aktivitäten zu entschlüsseln, erweitert unser grundlegendes Verständnis für die Manifestation von Depressionen im menschlichen Gehirn. Dies liefert eine neuronale Zielsignatur für personalisierte Neuromodulationstherapien und trägt zur Weiterentwicklung von Behandlungsansätzen bei.

Originalrecherche: Open Access
https://www.biologicalpsychiatryjournal.com/article/S0006-3223(23)00048-3/fulltext

Weitere Informationen:
https://neurosciencenews.com/acc-depression-22805/