Neue Forschungsdaten zum Neurostimulationsverfahren Transkranielle Pulsstimulation (TPS)

Stoßwellen-Therapie TPS wird intensiv klinisch erforscht und zeigt weitere Potentiale

Nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren erfahren zunehmend mehr Aufmerksamkeit. In der wissenschaftlichen Fachwelt werden therapeutische Entwicklungen auf Basis elektrischer, elektromagnetischer oder anderer physikalischer Energien als Behandlungsformen mit zunehmend hohem Potential diskutiert. Dank expandierender Forschungslage als ernstzunehmend und sichere, bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Indikationen anwendbare Therapie-Module gehandelt, finden sie vermehrt Einzug in Kliniken und Praxen.

Zudem fordern Forschende verschiedener Gruppierungen, Fachgesellschaften und auch Ökonom:innen in Anbetracht der Kostenexplosionen in den Gesundheitssystemen längst, Hirnstimulationsverfahren möglichst vielen Patient:innen zur Verfügung zu stellen (siehe hierzu auch: https://alzheimer-science.com/news/neurowissenschaften/nicht-invasive-hirnstimulation-essenziell-gesundheitsversorgung ), auch wenn weiterhin noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist.

TPS: Neue Daten zu Alzheimer, Depression und Post-Covid

Das Neurostimulationsverfahren Transkranielle Pulsstimulation (TPS), das mit niedrigenergetischen Stoßwellen arbeitet und bezüglich der Wirkweise und der Sicherheit der Patient:innen bereits gut erforscht ist, wartet dementsprechend mit weiteren neuen wissenschaftlichen Arbeiten auf.

Renommierte Forscher:innen verschiedener Fakultäten haben in den vergangenen Wochen neue Arbeiten zur TPS präsentiert. Im Rahmen der diesjährigen Fachkonferenzen „European Academy of Neurology“ (EAN 2023) in Budapest, Ungarn, der Alzheimer’s Association International Conference (AAIC 2023) in Amsterdam, Niederlande und dem „3rd Joint Congress of the INS European Chapters“ (e-INS 2023) in Hamburg, wurden folgende neue Poster vorgestellt:

TPS bei Alzheimer-Demenz in allen Stadien und Beobachtungszeiträumen von bis zu 1 Jahr

Die Universität Bonn unter der Leitung von Prof. Dr. med. Ullrich Wüllner berichtet über 22 Proband:innen mit Alzheimer-Demenz, die mit der TPS behandelt und dabei jeweils vor und nach der sechs-teiligen TPS-Behandlung sowie nochmals sechs Monate später mittels CERAD-Test getestet wurden. Dabei konnten bei 76 Prozent der Patient:innen der Krankheitsverlauf aufgehalten bzw. der Krankheitszustand verbessert werden. Nur bei fünf Prozent der Betroffenen verschlechterte sich der Zustand. Alle Patient:innen vertrugen die TPS-Therapie gut, es gab keine Nebenwirkungen und keine subjektiven Beschwerden.

Das Team von Prof. Dr. med. Lars Wojtecki, Hospital zum Heiligen Geist, Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf präsentiert retrospektive Langzeitverlaufsdaten zu Alzheimer-Patient:innen samt individuellen Krankengeschichten: Auch hier verbesserten sich die kognitiven und affektiven Leistungen signifikant nach dem ersten TPS-Behandlungszyklus bei 25 Proband:innen – unabhängig vom Schweregrad der Symptome und den Biomarkern bei Studienbeginn (getestet mit MMST, MoCA, ADAS über fünf bis 12 Monate). Die Behandlungen waren für die Patient:innen gut verträglich mit einer minimalen Anzahl  von nur vorübergehenden, leichten Nebenwirkungen, selbst bei selektiven Patient:innen mit leichten Gefäßläsionen und Thrombozytenaggregationshemmern.

In einem weiteren Poster der Arbeitsgruppe um Prof. Wojtecki bestätigen sich die Pilotergebnisse des o. g. Posters in Bezug auf die geringe ADE und das Ausmaß der kognitiven Verbesserung als Kurzzeiteffekt. Diese Ergebnisse zeigen, so die Autor:innen, dass die anfängliche Verbesserung der kognitiven Funktionen jedenfalls bis zu einem Jahr aufrechterhalten werden kann. Weitere Untersuchungen werden den Langzeitverlauf verfolgen.

Ein drittes Poster unter Erstautorin Celine Cont aus dem Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter der Leitung von Prof. Wojtecki beschäftigt sich mit der Frage nach der Evidenz der TPS für die klinisch-praktische Anwendung. Die Autor:innen kommen dabei zu dem Schluss, dass die TPS eine Option für die die Behandlung der Alzheimer-Krankheit sein kann, und zwar nicht nur in leichten Fällen, sondern auch in fortgeschritteneren Stadien. Diese empfohlene Möglichkeit gilt unabhängig von der Biomarker-Konstellation und damit gegebenenfalls auch für andere Demenz-Arten.

Leichte vaskuläre Pathologien und Thrombozytenaggregationshemmer sind im Allgemeinen akzeptabel. Außerdem schlagen die Wissenschaftler:innen vor, die Behandlungsprotokolle über die bisherigen Standardprotokolle hinaus zu erweitern und z. B. motorische Bereiche einbeziehen, um begleitende Hypokinese oder Tremor zu behandeln.

TPS bei therapieresistenter Depression

Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Sprick, ebenfalls Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Chefarzt des Ambulanten Zentrums des Alexius/Josef Krankenhauses, Neuss, beschäftigt sich neben anderen Indikationen auch mit der TPS bei therapieresistenten Depressionen. In einem Fallbericht präsentiert die Gruppe ein Poster zum Langzeiteffekt der TPS-Behandlung mit Stimulation des Nucleus Accumbens bei einem Patienten mit therapieresistenter Depression über einen Verlaufszeitraum von einem Jahr:

Nach den ersten sechs TPS-Sitzungen innerhalb von zwei Wochen erreichte der Patient eine vollständige Remission. Im ambulanten Nachuntersuchungsbericht dokumentierte der behandelnde Arzt: Er ist wieder völlig normal, hat Freude am Spielen, ist sozial aktiv und wie ausgewechselt. Dementsprechend sank der BDI-II-Wert auf 1 Punkt. Seit mehr als einem Jahr erhält der Patient nun regelmäßig alle 4 Wochen eine TPS-Sitzung. Er ist seither schubfrei geblieben, und der BDI-II-Score ist bei den Nachuntersuchungen immer < 3 Punkte geblieben.

TPS bei Post-Covid

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird bereits vielfach intensiv in Bezug auf ihren Einsatz bei Long-Covid-Symptomen und Post-Covid-Erkrankungsfällen untersucht und weitere Daten werden zu gegebener Zeit zur Verfügung stehen. In einem Fallbericht, ebenfalls vom Team um Prof. Sprick, zeigt die TPS die Möglichkeiten des Verfahrens bei Post-Covid: In diesem Fall wurde die TPS-Therapie bei einer 42-jährigen Frau mit vollständigem Geruchs- und Geschmacksverlust als Folge eines Long-Covid-Syndroms (nach einer Covid-19-Infektion – Delta-Typ) angewandt (off-label). Der Geschmacksverlust und die Anosmie hatten vor der Behandlung mehr als ein Jahr lang angehalten.

Nach sechs TPS-Stimulationen über einen Zeitraum von nur zwei Wochen erlangte die Patientin ihre Fähigkeit zu riechen und zu schmecken wieder. Es wurden keine Nebenwirkungen der Behandlung beobachtet. Sechs Wochen nach der Behandlung berichtete die Patientin, dass sie mit großem Erfolg an einer Weinprobe teilnehmen konnte. Die Patientin war sogar in der Lage, verschiedene Weinsorten anhand von Geschmack und Geruch zu erkennen.

Prof. Sprick und seine Co-Autoren kommen zu dem Schluss, , dass die regenerativen Effekte der TPS, ebenso wie bei anderen Krankheiten wie Alzheimer-Demenz auch bei Patient:innen mit Post-Covid-Symptomen erzielt werden können. Die Tatsache, dass die Symptome des Geruchs- und Geschmacksverlustes der Patientin, die auch noch ein Jahr nach der Covid-Erkrankung bestanden, nach sechs Stimulationen innerhalb von nur zwei Wochen beseitigt werden konnten, sehen die Forschenden als besonders beeindruckend an.

Die Autoren schreiben in ihrem Poster, dass die genauen Wirkmechanismen der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) zwar noch weiter erforscht werden müssen, aber verschiedene Faktoren zur Diskussion stehen. Hierzu gehören mechanische Effekte der TPS-Pulse auf neuronale Membranen, die Ionenkanäle beeinflussen und Porationen der Zellwände induzieren, und zwar sowohl in den Neuronen als auch in den Gliazellen.

Auch wurden Veränderungen in verschiedenen Neurotransmitterwerten nach TPS-Anwendungen beobachtet. Eine Erhöhung des Dopamin- und Serotoninspiegels sowie eine Verringerung von GABA wurden in der Literatur nach TPS-Behandlungen beschrieben. Darüber hinaus kann die Hirnstimulation mit der TPS zu einer Induktion des neurotrophen Faktors (BDNF) oder des glial cell line-derived neurotrophic factor (GDNF) sowie des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) führen. BDNF könnte zu einer Neurogenese und Proliferation von Neuronen beitragen, insbesondere im Hippocampus, im entorhinalen Kortex und im olfaktorischen Gehirn. VEGF führt in der Regel zu einer deutlichen Verstärkung der Gefäßbildung. Alle diese Mechanismen haben gemeinsam, dass sie neuroplastische Veränderungen hervorrufen.

Transkranielle Pulsstimulation (TPS): Weitere Veröffentlichungen im Herbst 2023

In den kommenden Monaten wird die TPS unter anderem in Deutschland auf dem 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 8. bis 11. November 2023 in Berlin und dem DGPPN-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.) vom 29. November bis 02. Dezember 2023, ebenfalls in Berlin, vertreten sein. Der DGN-Kongress ist das größte Neurologie-Fachtreffen in Europa und der DGPPN bündelt die Kompetenz von über 11.000 Fachärzt:innen und Wissenschaftler:innen zu psychischen Erkrankungen.

Auf beiden Kongressen ist die TPS präsent und es werden weitere Arbeiten zur TPS-Forschung zu verschiedenen Indikationen präsentiert werden.

Alle in dieser Übersicht vorgestellten Poster sind im Detail im Bereich „Studien, Poster und Literatur“ einsehbar unter:

https://alzheimer-science.com/transkranielle-pulsstimulation-tps-studien