Psychische Gesundheit der Deutschen verschlechtert sich weiter

Repräsentative Umfragedaten einer langfristig angelegten Studie des RKI zeichnen düsteres Bild

Psychische Belastungen und Erkrankungen wie depressive Störungen und Angststörungen nehmen seit einigen Jahren deutlich zu. Derzeit leiden in Deutschland ungefähr 27,8 Prozent der Erwachsenen, das sind etwa 17,8 Millionen Menschen, an einer psychischen Erkrankung (DGPPN Januar 2023). Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben diese Problematik zusätzlich verstärkt: Global stieg die Zahl der Depressionen im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie um etwa 25 Prozent an, was nahezu 280 Millionen Betroffenen weltweit gleichkommt (1).

Im Rahmen der „Mental Health Surveillance“ (MHS), die im Rahmen eines Forschungsprojektes des Robert-Koch-Instituts (RKI) aufgebaut wird, hat die Studie seit ihrem Start im Frühjahr 2019 eine abwärts gerichtete Tendenz in drei Indikatoren der psychischen Gesundheit erwachsener Deutscher festgestellt: Angststörungen, depressive Erkrankungen und eine positive Einschätzung des mentalen Zustands.

Kollektive Risikofaktoren belasten die Bevölkerung zunehmend

Am stärksten betroffen scheinen Frauen und die jüngeren Altersgruppen (18 bis 29 und 30 bis 44 Jahre) von der aktuellen Verschlechterung ihrer seelischen Gesundheit zu sein. Doch die Autor:innen um Lena Walther beobachten negative Trends in allen Geschlechts- und Alterskategorien seit Studienbeginn 2019.

Von April 2019 bis Juni 2022 gab es signifikante Einbußen in drei Bereichen der psychischen Gesundheit unter der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands. Eine vorausgegangene Untersuchung (2) stützte diese Erkenntnisse auf monatlich gesammelte Umfragedaten. Im jeweiligen Vergleichszeitraum des Frühjahrs/Sommers stieg der geschätzte Bevölkerungsanteil, der bei einem Kurz-Screening für depressive Störungen über dem Grenzwert lag, von 11 Prozent im Jahr 2019 und 9 Prozent  im Jahr 2020 auf 13 Prozent im Jahr 2021 und schließlich auf 17 Prozent im Jahr 2022.

Auch der Anteil derjenigen, die bei einem Screening für Angststörungen über dem festgelegten Wert lagen, stieg zwischen 2021 und 2022 (von 7 auf 11 Prozent). Zusätzlich hat sich die subjektive Bewertung der psychischen Gesundheit (SRMH, „self-rated mental health“) verschlechtert: Während 2021 noch 44 Prozent der Bevölkerung ihre geistige Gesundheit als sehr gut oder hervorragend bewerteten, sank dieser Prozentsatz im Jahr 2022 auf 40 Prozent.

Die Analysen basieren auf repräsentativen Telefonumfragen der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“(3). Diese Studie wird seit 2019 mit einem weitgehend konstanten Konzept umgesetzt. In die Untersuchung fließen Daten von insgesamt 47.098 Erwachsenen ein, was durchschnittlich rund 3.120 Befragten pro Monat entspricht. Diese Personen wurden zwischen Mitte Februar 2022 (Startpunkt der Datenerhebung für 2022) und Mitte Mai 2023 interviewt.

Corona-Pandemie, Krieg, Inflation und Klimawandel sind Hauptstressoren für die Menschen

Die Autor:innen führen die deutliche Verschlechterung dabei auf anhaltende kollektive Stressfaktoren zurück: Neben mehreren Jahren des Ausnahmezustands aufgrund der Corona-Pandemie beeinflussen auch der Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Schwankungen und Inflation sowie die Zunahme der Klimawandel-Auswirkungen die Situation.

Es erscheine daher dringend notwendig, verstärkt Maßnahmen zu ergreifen, um die psychische Gesundheit der Gesellschaft zu bewahren und zu stärken, so die Autor:innen. Dies werde umso relevanter, wenn man bedenke, dass neben den Jahren der Pandemie weitere fortwährende gemeinschaftliche Belastungen, wie der Krieg in der Ukraine, wirtschaftliche Veränderungen und die sich intensivierende Klimakrise, hinzukamen.

In Anbetracht dieser Trends stehen die Medizin, das Gesundheitswesen und die Politik vor bedeutenden Herausforderungen in der Versorgungsstruktur und der drängenden Aufgabe, therapeutische Angebote auszuweiten.

Essenziell für eine gesundheitsorientierte Zukunft: Technologiebasierte Therapieansätze

Um den wachsenden Anforderungen der Medizin gerecht zu werden, fordern Wissenschaft und zahlreiche Institutionen immer nachdrücklicher, die Therapieangebote für die Patient:innen zu erweitern und eine längst fällige Zeitenwende in Psychiatrie und Neurologie zu forcieren: Der vermehrte und den Betroffenen vor allem einfacher zugängliche Einsatz von nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren könnte dazu beitragen, die Versorgung der Patient:innen deutlich zu verbessern.

Bereits im Juli 2023 hatte das „Center for Responsible Research and Innovation (CeRRi)“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Göttingen und internationalen Partnern Leitlinien für die Entwicklung und Implementierung der „Non-Invasive Brain Stimulation (NIBS)“ erstellt. In einem „White Paper“ wurden ihre „Empfehlungen für nicht-invasive Hirnstimulation in der Europäischen Union“ veröffentlicht – lesen Sie hierzu weiter unter: https://alzheimer-science.com/news/neurowissenschaften/nicht-invasive-hirnstimulation-essenziell-gesundheitsversorgung.

Quellen:

(1) World Health Organization (2022). COVID-19 pandemic triggers 25% increase in prevalence of anxiety and depression worldwide. Verfügbar unter www.who.int/news/item/02-03-2022-covid-19-pandemic-triggers-25-increase-in-prevalence-of-anxiety-and-depression-worldwide.

(2) Mauz E, Walther L, Junker S, et al.: Time trends in mental health indicators in Germany‘s adult population before and during the COVID-19 pandemic. Front Pub Health 2023; 11: 1065938 CrossRef MEDLINE PubMed Central

(3) Walther L, Junker S, Thom J, Hölling H, Mauz E: High-frequency surveillance of mental health indicators in the adult population of Germany: trends from 2022 to 2023. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: online first. DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0180