Neurologe und Psychiater Frank Schmidt-Staub über Hirnstimulation in der Praxis
„Mit der Transkraniellen Pulsstimulation stehen wir an der Schwelle ungeahnter Möglichkeiten.“
Frank Schmidt-Staub, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Facharzt für Nervenheilkunde praktiziert in Hannover. Seine Schwerpunkte liegen neben neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz, Parkinson und Zustand nach Schlaganfall vor allem auf psychiatrischen und psychologischen Krankheitsbildern wie Angststörungen, Depressionen, Burnout, Traumabewältigung, Schmerzsyndromen oder auch ADHS, Schizophrenie und Suchterkrankungen. Frank Schmidt-Staub nutzt dabei für seine Patienten eine große Bandbreite an medizinischen Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie und ist ein Vorreiter im praktischen Einsatz von nicht-invasiven Hirnstimulations-Verfahren (NIBS) wie der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS).
Wir sprachen mit dem Experten über seine Patienten-orientierte Vorgehensweise in Psychiatrie und Neurologie sowie Chancen und Nutzen der Kombination medikamentöser und biophysikalischer Therapien.
Alzheimer Science (AS): „Herr Schmidt-Staub, lassen Sie uns zunächst über die Transkranielle Pulsstimulation sprechen. Sie arbeiten nun seit über zwei Jahren mit dem Stoßwellen-Verfahren. Welche Indikationen behandeln Sie mit der TPS ?“
Frank Schmidt-Staub (FSS): „In erster Linie behandeln wir in meiner Praxis natürlich Alzheimer-Patienten. Aber wir setzen die TPS ‚off-label‘ auch anderen Formen der Demenz, bei Parkinson, bei Aphasie und mittlerweile bei Long-Covid-Symptomatiken ein. Erste Erfahrungen sammeln wir auch bei der Behandlung von ADHS und therapieresistenten Depressionen, Parkinson-Patienten und Migräneerkrankungen. Das Verfahren ist hervorragend und ich bin gespannt, welche Möglichkeiten die TPS in der Zukunft noch für uns bereithält. Beispielsweise zeigt sich ja gerade, dass die TPS die Blut-Hirn-Schranke öffnen kann. Dies wäre eine Option, Medikamente wirkungsvoller einzusetzen, da deren Wirkstoffe so besser ins Gehirn gelangen könnten.“
„Mit der TPS und anderen Hirnstimulationsmethoden haben wir schlicht eine neue Ebene der Behandlungsmöglichkeiten erreicht.“
Frank Schmidt-Staub
AS: „Sie arbeiten in Ihrer Praxis mit der TPS und anderen Hirnstimulationsverfahren, was für einen niedergelassenen Neurologen und Psychiater heute noch ausgewöhnlich ist. Wie kam es dazu?“
FSS: „Ich habe lange chronisch schwerst Kranke in der Psychiatrie im Akut- und Heimbereich betreut. Dort habe ich mit allen Formen der Medikation gearbeitet, aber festgestellt, dass ich damit allein einfach nicht weiterkomme. Nachdem ich mich 2014 niedergelassen hatte, stieß ich bei meiner Suche nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten zunächst auf das Neurofeedback. Dann entdeckte ich die tDCS, die transkranielle Gleichstromstimulation, um therapieresistente Patienten zu behandeln, also jene, bei denen Medikamente keinen Nutzen brachten. Mit der tDCS hatte ich dann schon sehr gute Ergebnisse im Bereich der Schmerztherapie, zum Beispiel bei Fibromyalgie oder bei organischen affektiven Störungen, etwa nach einem Schlaganfall, wie auch beim Schlaganfall-bedingten Hemiparesen. So habe ich mich immer mehr mit dem Thema physikalische Therapie beschäftigt und holte dann auch einen Magnetstimulator, also die rTMS, in die Praxis, später auch ein deep-rTMS-Gerät zur Behandlung von Sucht- und therapieresistenten Zwangserkrankungen. Auch diese Therapieform zeigt gute Ergebnisse etwa bei Depressionen, Angststörungen oder Zustand nach Schlaganfall. Vor ca. zwei Jahren kam die Transkranielle Pulsstimulation hinzu, die seither eine Kernstellung in der Therapie zahlreicher Indikationen einnimmt. Mit der TPS und anderen Hirnstimulationsmethoden haben wir schlicht eine neue Ebene der Behandlungsmöglichkeiten erreicht.“
AS: „Doch bevor Sie Ihre Patienten behandeln, geht eine umfangreiche Diagnostik voraus, die man in klassischen Praxen in dieser Form selten findet. Wie gehen Sie vor?“
FSS: „Mir reicht es nicht, wenn ein Patient mit einem MRT und einem Befund zu mir kommt. In meiner Praxis arbeiten wir sehr intensiv diagnostisch beim jeweiligen Patienten, um ein Gesamtbild zu erhalten. Wir machen stets eine Schlafdiagnostik, weil das ein sehr großer Risikofaktor ist, wir gleichen Vitamindefizite aus und wir schließen auch bioidentische Hormonersatztherapien ein. Der Darm spielt ebenfalls eine große Rolle, denn viele Patienten haben eine Störung der Darmbarriere, Stichwort das ‚Leaky Gut-Syndrom‘. Darm und Gehirn sind eng miteinander verknüpft und so entstehende chronische Entzündungen können zu neurophysiologischen Erkrankungen führen. Dies gilt es auszugleichen. Es gibt übrigens viele Frauen in der Meno-Pause, die glauben, sie wären an Demenz erkrankt, weil sie Symptome dieser Art bei sich feststellen. Doch tatsächlich muss man in den meisten Fällen nur die Hormone regulieren, wobei vorher natürlich andere Risikofaktoren ausgeschlossen werden müssen, etwa auch Krebserkrankungen. All dies gehört dazu, um jegliche biologische Faktoren richtig zu bestimmen.“
AS: „Stichwort Medikation: Sie setzen auch hier auf ganz individuelle Einstellungen?“
FSS: „Ja, es ist wichtig, die Medikation der Patienten zu überprüfen, denn viele Menschen leiden unter deren Nebenwirkungen. Es gibt viele Patienten mit Depressionen, die auch an Pseudo-Demenz leiden, und mit Medikamenten nicht optimal behandelt werden bzw. werden können. Auch wenn jemand zum Beispiel ADHS hat – eine Krankheit, die wir häufig behandeln und die in jeder Altersgruppe vorkommt – und der Patient einen Serotonin-Aufnahmehemmer oder Neuroleptika bekommt, dann stellen wir hier um, weil diese Präparate sehr negative Effekte haben können. Es geht also darum, zunächst die Vitalparameter zu optimieren und die Risikofaktoren zu minimieren, denn dann kann beispielsweise die TPS ihre optimale Wirkung entfalten, wenn wir schließlich mit der Behandlung beginnen.“
AS: „Zeit und Zuwendung sind für die Patienten sehr wichtig, auch im Hinblick auf die bestmögliche Therapie?“
FSS: „Ja, das ist so, da kann vieles schiefgehen. Ich habe einen 61-jährigen Alzheimer-Patienten, der selbst Mediziner ist, allerdings aus einem anderen Fachbereich. Er ging zunächst wegen Gedächtnisproblemen an eine Uni-Klinik, wo eine Lumbalpunktion gemacht wurde. Man fand neurodegenerative Parameter im Nervenwasser, also Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen. Er bekam dann einen Cholinesterase-Hemmer und ihm wurde nur knapp gesagt: „Wir sehen uns in einem halben Jahr wieder“. Das war’s und das ist leider kein Einzelfall. Er war völlig schockiert. Leider fehlt hier oft noch die Aufklärung über sinnvolle weitere Therapiestrategien, jenseits der Pharmakotherapie.“
AS: „Zurück zur Therapie: Sie setzen die TPS auch in Kombination mit anderen Hirnstimulationsverfahren ein. Können Sie uns erklären, wie Sie kombinieren und welchen Nutzen der Patient daraus erhält?“
FSS: „Ein Beispiel: Einer meiner Alzheimer-Patienten wurde mit der rTMS behandelt, an definierten Punkten an der linken Seite des Schädels. Dann berichtete mir seine Frau, dass ihr Mann die Uhr nicht mehr lesen könne. Nun, die Uhr lesen hat mit Objekterkennung zu tun, was im rechten Parietallappen verortet ist. Hier haben wir dann die TPS mit der rTMS kombiniert, d. h., wir haben mit der TPS das gesamte Gehirn behandelt und ergänzend den rechten Parietallappen mit der rTMS stimuliert. Und siehe da: Nach 10 Sitzungen konnte er die Uhr wieder lesen! Das ist auch für mich eine richtig toller Erfolg, der einfach zeigt, was mit diesen Therapien möglich ist. Das gibt auch Patienten und deren Familien Hoffnung und Verbesserung der Lebensqualität. Übrigens hält sich dieser Patient auf konstant gutem Niveau, da er regelmäßig mit der TPS behandelt wird.“
„Mit der TPS hingegen können wir großflächig kortikale Areale aktivieren, die Durchblutung fördern und solche Regenerationsprozesse auslösen, die mit anderen Verfahren so nicht möglich sind.“
Frank Schmidt-Staub
AS: „Kombinationsbehandlungen mit der TPS und der rTMS werden auch klinisch untersucht. Können Sie uns kurz die Unterschiede der Verfahren und den gemeinsamen Nutzen erklären, denn die rTMS geht ja nur wenige Zentimeter durch die Schädeldecke hindurch?“
FSS: „Das ist richtig, die rTMS geht direkt nur drei bis vier Zentimeter in die Tiefe. Ich erreiche also die oberen Anschlussstellen des Nervennetzwerks. Durch die cerebralen Netzwerke können dann auch indirekt tiefer liegende Kerngebiete erreicht werden. Bei der deep RTMS erreichen wir ebenfalls tiefere und großvolumige Hirnareale. Bei der rTMS kann ich durch die individuelle Frequenzeinstellung entscheiden, was ich erreichen will. Der Unterschied ist, dass ich mit der rTMS Aktivitäten im Gehirn sowohl bremsen als auch aktivieren kann. Allerdings müssen hier oft 20 bis 30 Behandlungen durchgeführt werden. Mit der TPS hingegen können wir großflächig kortikale Areale aktivieren, die Durchblutung fördern und solche Regenerationsprozesse auslösen, die mit anderen Verfahren so nicht möglich sind, zumal die anderen Methoden viel häufiger eingesetzt werden müssen als die TPS. Die TPS ist zudem ein schmerzfreies und sehr sicheres Verfahren. Die TPS ist sozusagen der Turbo der Regeneration. Schlussendlich sehe ich in meiner Praxis, dass die verschiedenen technischen Verfahren einander wunderbar ergänzen können und wir unsere Patienten so höchst individuell behandeln können.“
AS: „Haben Sie noch weitere Beispiele für diese Kombinationen?“
FSS: „Ja, wir kombinieren die TPS auch mit der Vagusnerv-Stimulation. Diese nutzten wir früher vor allem bei Cluster-Kopfschmerzen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Nun aber haben wir entdeckt, dass die Kombination sehr gut bei Long-Covid wirkt. Wir behandeln diese Erkrankungen in der Praxis mit der TPS und geben den Patienten dann zusätzlich kleine Vagusnerv-Stimulationsgeräte mit nach Hause, um die durch die TPS ausgelöste, aktivierenden und regenerierenden Prozesse zu unterstützen. Diese Therapie zu Hause ist sinnvoll, da man hier drei bis vier Stunden am Stück behandeln muss und nicht nur 30 Minuten wie mit der TPS.“
AS: „Anfänglich wurden mit den TPS-Stoßwellen nur leichte und mittelgradige Alzheimer-Erkrankungen behandelt. Längst ist man, vor allem im klinischen Bereich, dazu übergegangen, auch schwere Verläufe zu behandeln und dies mit ebenfalls guten Erfolgen im Sinne des Aufhaltens des Erkrankungsverlaufs. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?“
FSS: „Ja, das ist richtig. Auch wir haben begonnen, mit der TPS fortgeschrittene Demenz-Stadien zu behandeln. Gerade bei älteren Patienten erreichen wir mit der TPS einen Funktionserhalt, so dass die Betroffenen weiter zu Hause leben können und nicht in ein Heim müssen. Da geht es darum, die basale Funktion zu erhalten, die sozialen Möglichkeiten der Menschen zu verbessern, Schlafstörungen zu reduzieren und auch, die Ängstlichkeit zu mindern, also schlicht, die Lebensqualität zu verbessern.“
AS: „Sie arbeiten seit rund zwei Jahren mit der TPS. Können Sie uns einen Überblick Ihrer Erfahrungen geben?“
FSS: „Das erste Ziel bei der TPS ist ja, den Krankheitsverlauf aufzuhalten bzw. zu verlangsamen. Das zweite Ziel ist, Funktionen des Gehirns wieder aufzubauen. Und es sind jedenfalls rund zwei Drittel unserer Patienten, die in dieser Form von der Therapie profitieren und sie dann auch in regelmäßigen Abständen weitermachen. Wir erleben dann, dass die Angehörigen berichten, dass z. B. die Mama sich wieder besser an Gesprächen beteiligen kann, nicht mehr so oft dasselbe nachfragt, dass die Stimmung des Patienten besser ist und der eigene Antrieb gestärkt ist. Die Förderung der Neuroplastiziät funktioniert häufig sehr gut.“
AS: „Haben Sie ein konkretes Beispiel dazu?“
FSS: „Ein sehr schönes Beispiel ist eben der Arzt mit der Diagnose Alzheimer-Demenz, von dem ich zuvor schon sprach. Bei ihm haben wir ganz hervorragende Erfolge mit der TPS. Wir kontrollieren regelmäßig seine Vitalparameter, Schlafdauer und -qualität, er nimmt Nahrungsergänzungen und ist hormonell gut eingestellt. So kann die TPS maximales leisten und das schöne ist, dass dieser Patient einfach normal geblieben ist. Er führt eine gute Ehe, hat ein erfülltes Leben, fährt mit dem Fahrrad, macht Sport und man würde, wenn man es nicht wüsste, nicht glauben, dass er Alzheimer hat. Das ist doch hervorragend, dass ihm dank der TPS so das Schicksal eines heute noch als normal anzusehenden fortschreitenden Krankheitsverlaufs erspart bleibt. Man kann natürlich nie etwas versprechen, aber wir haben einige Patienten wie ihn. Das ist wirklich traumhaft.“
„Die TPS und andere Behandlungsformen sind einfach zu gut, als dass sie noch lange ein Schattendasein führen könnten.“
Frank Schmidt-Staub
AS: „Und auch wenn es zunächst unverständlich klingt: Die TPS kann den Betroffenen viele Kosten ersparen und finanzielle Belastungen reduzieren?“
FSS: „Ja, das ist wirklich so. Wenn ich die Kosten für die TPS in Relation setze mit den zu erwartenden Kosten für ein Pflegeheim, dann sieht das schon ganz anders aus. Diese Kosten, die man selbst monatlich für ein Pflegemein leisten muss, auch für Hilfsmittel, das ist ja eine ganz andere Dimension. Allein ein Pflegeheimplatz kostet monatlich mindestens € 3.000,–, die die Familie selbst aufbringen muss, trotz Pflegestufe etc. Konkret: Wenn ich nur ein halbes Jahr den Umzug in ein Pflegeheim herauszögern kann mit der TPS, spare ich € 20.000,–. Das muss man mal in Relation setzen.“
AS: „Wo sehen Sie die TPS und andere Verfahren in Zukunft in Neurologie und Psychiatrie?“
FSS: „Ich denke, diese neue Form der Medizin wird die Therapielandschaft deutlich verändern, nicht nur in meinen Fachbereichen. Wir stehen an einer Schwelle früher ungeahnter Möglichkeiten, die sich mit der Zeit sicher etablieren werden, ja sogar müssen. Die TPS und andere Behandlungsformen sind einfach zu gut, als dass sie noch lange ein Schattendasein führen könnten. In der Fachwelt sind sie längst etabliert, nun gilt es, die Menschen auch zu informieren und ihnen den Zugang zu diesen Therapien zu erleichtern.“
AS: „Herr Schmidt-Staub, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“