Aktuelle Studien zur Transkraniellen Pulsstimulation (TPS)

Dr. Gilson Shinzato, Universität von São Paulo, in einem Interview über neue TPS-Studien

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) gewinnt weltweit zunehmend an Bedeutung in der Behandlung der Alzheimer-Demenz und anderen neurodegenerativen sowie neurophysiologischen Erkrankungen. In Südamerika ist das Institut für Rehabilitationsmedizin (IMREA) an der Universität von São Paulo in Brasilien führend auf diesem Gebiet. Das Institut führt derzeit eine doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Studie über die Wirksamkeit von TPS bei Alzheimer-Demenz durch.

Die Studie mit dem Titel „Non-invasive Brain Stimulation by Transcranial Pulse Stimulation as a Coadjunctive Treatment in Alzheimer’s Disease“ (ClinicalTrials.gov ID: NCT05762926), die vom Allgemeinen Krankenhaus der Universität São Paulo finanziert wird, steht unter der Leitung von Dr. med. Gilson Tanaka Shinzato und Prof. Dr. Linamara Rizzo Battistella in Zusammenarbeit mit Prof. Orestes Forlenza, einem führenden Alzheimer-Forscher am Institut für Psychiatrie der Universität São Paulo.
Wir sprachen mit Dr. Gilson Shinzato über die Vorteile und Möglichkeiten der TPS-Hirnstimulationsmethode.

Alzheimer Science (AS): „Herr Dr. Shinzato, angesichts der schnell wachsenden Zahl von Demenzfällen in Südamerika, insbesondere in Brasilien, wie wird in Ihrem Land mit der Alzheimer-Demenz und anderen neurodegenerativen Krankheiten umgegangen?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Die Alzheimer-Krankheit stellt in Brasilien eine große Herausforderung dar. Ich möchte auf eine Studie von Piovesan et al. (2023) 1  verweisen, die von 2010 bis 2020 rund 188.811 Alzheimer-bedingte Todesfälle und einen 88-prozentigen Anstieg der Alzheimer-Krankenhausaufenthalte verzeichnete, was inzwischen sogar die zerebrovaskulären und ischämischen Herzerkrankungen übertrifft. Im Jahr 2020 nahmen die Alzheimer-bedingten Todesfälle um drei Prozent zu, was wahrscheinlich auch auf COVID-19 zurückzuführen ist. Die Studie zeigt, dass die Alzheimer-Belastung in Brasilien deutlich zunimmt und die Sterblichkeitsrate, die Zahl der Krankenhausaufenthalte und die Kosten steigen. Die Transkranielle Pulsstimulation bietet hier eine große Chance als wirksame Therapie für Alzheimer und andere Krankheiten.“

Alzheimer Science (AS): „Sie verfügen über langjährige Erfahrung in der Stoßwellenmedizin und haben die Entwicklung der Transkraniellen Pulsstimulation in den letzten Jahren verfolgt. Was waren die ausschlaggebenden Faktoren für Sie, die TPS an Ihre Universität zu holen?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Mein erster Kontakt mit der Methode, die damals noch transkranielle extrakorporale Stoßwellenbehandlung (TESWT) genannt wurde, war 2014, als ich die inspirierenden Vorträge von Dr. Henning Lohse-Busch auf dem ISMST-Weltkongress in Mailand hörte. Er präsentierte bemerkenswerte Verbesserungen bei Patienten mit schweren traumatischen Hirnverletzungen durch die TESWT 2 .  Inspiriert von diesen Fortschritten informierte ich Professor Linamara Rizzo Battistella an der Universität von São Paulo, die daraufhin Dr. Lohse-Busch zu einem nationalen Kongress einlud. Dort erweiterte er unser Wissen über die TESWT bei Demenz- und Schlaganfallpatienten. Wir verfolgten die Entwicklung der Transkraniellen Pulsstimulation seither aufmerksam und führten experimentelle Studien mit Stoßwellen an Tiermodellen durch, die die klinischen Daten der Europäer bestätigten. Daraufhin wollten wir sofort mit eigenen nationalen Studien beginnen.“

Alzheimer Science (AS): „Aber natürlich waren Sie auch von den unerwarteten Einschränkungen durch die Coronavirus-Pandemie betroffen?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Ja, leider wurde dieses Projekt durch den Ausbruch von COVID-19 gebremst. Sonst wären wir schon viel weiter gewesen. Im Jahr 2023 begannen wir schließlich mit einer eine offenen Sondierungsstudie mit 10 Patienten, die bemerkenswerte Verbesserungen zeigte. Die Ergebnisse wurden zur Veröffentlichung eingereicht, und wir begannen die zweite Phase der RCT, in der 40 weitere Patienten behandelt werden.“

Alzheimer Science (AS): „Die erste Patientin, die Sie mit TPS behandelt haben, war Ihre eigene Mutter, die an MCI (Mild Cognitive Impairment) litt. Können Sie uns sagen, wie sich die TPS-Behandlung auf ihre Lebensqualität ausgewirkt hat?“

„Der Zustand meiner Mutter, die klinische Anzeichen von MCI hatte, normalisierte sich und sie führt dank der TPS seit neun Jahren ein unabhängiges Leben.“
Dr. med. Gilson Shinzato

Dr. med. Gilson Shinzato - Interview - Alzheimer Science

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Im Jahr 2015 begann meine Mutter, eine ehemalige Lehrerin und Tochter japanischer Einwanderer, im Alter von 76 Jahren Gedächtnislücken zu zeigen. Auf Anraten von Dr. Lohse-Busch begannen wir mit der TPS-Behandlung und regelmäßigen Auffrischungssitzungen, was zu einer bemerkenswerten Normalisierung ihrer Gedächtnis- und kognitiven Funktionen führte, die nun seit neun Jahren stabil sind! Heute, im Alter von 85 Jahren, führt sie dank des TPS ein unabhängiges Leben.“

Alzheimer Science (AS): „Diesen Erfolg konnten Sie dann im Laufe der Zeit an Ihrer Universität im Rahmen Ihrer Behandlungs- und Forschungsarbeit wiederholen. Wie viele Patienten wurden bisher mit TPS behandelt?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Wir haben 72 Patienten mit verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen, Schlaganfällen und Long-COVID behandelt und dabei wirklich überraschende Ergebnisse erzielt, die allerdings noch nicht ausreichend für eine Veröffentlichung dokumentiert sind. Ich möchte hier ein paar beeindruckende Beispiele nennen:

  • Ein 75-jähriger Kinderarzt mit Alzheimer-Krankheit und Aphasie, der nach der TPS-Behandlung wieder fließend sprechen und digitale Geräte benutzen konnte. Trotz zahlreicher Rückschläge, einschließlich des COVID-bedingten kognitiven Verlusts, führte TPS innerhalb eines Jahres zu einer erstaunlichen Erholung.
  • Eine 88-jährige ehemalige Klavierlehrerin mit Lewy-Body-Demenz, die unter schweren Halluzinationen litt, erfuhr nach der TPS-Therapie eine deutliche Verbesserung. Ihre kognitiven Funktionen stabilisierten sich bis jetzt über vier Jahre, was ihr half, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
  • Nach einem ischämischen Schlaganfall und jahrelanger Aphasie hat ein 76-jähriger Priester durch TPS seine Sprachfähigkeit wiedererlangt und kann seitdem wieder religiöse Zeremonien abhalten.
  • Eine 98-jährige ehemalige Schneiderin und Nählehrerin mit fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit begann nach einer Reihe von TPS-Sitzungen wieder zu sprechen und zu interagieren, erinnerte sich an ihren eigenen Namen und den ihrer Tochter und wurde autonomer in der Selbstpflege.
  • Eine 39-jährige Frau mit rechtsseitiger Hemianästhesie, linksseitigen trigeminalen Schmerzen und Stimmungslabilität nach einem Schlaganfall reagierte positiv auf die TPS, was zu einer deutlichen Verbesserung ihrer Symptome führte und es ihr ermöglichte, abgesehen von einem anhaltenden Nystagmus, ihren Alltag normal zu bewältigen.

Diese Fälle verdeutlichen das Potenzial der TPS-Therapie bei der Behandlung und Verbesserung der Lebensqualität unserer Patienten.“

Alzheimer Science (AS): „Infolgedessen hat Ihre Universität beschlossen, eine RCT-Studie über TPS bei Alzheimer-Demenz durchzuführen. Wie ist der Status dieser Studie?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Trotz der enormen Prävalenz der Alzheimer-Krankheit ist es nicht einfach, Patienten für eine klinische Studie zu rekrutieren. Der Grund dafür sind die Ausläufer der Corona-Pandemie, aber auch die Familiendynamik und der Grad der Abhängigkeit dieser Patienten, leider auch die schlechten Ergebnisse bisheriger pharmakologischer Strategien und der Mangel an Behandlungsmöglichkeiten, die die Hoffnungen der Familien und die Glaubwürdigkeit neuer Methoden verringern. Glücklicherweise hilft uns unsere Zusammenarbeit mit dem Alzheimer-Forschungslabor des IPq (Institut für Psychiatrie des Hospital das Clínicas der Universität von São Paulo) bei der Rekrutierung, und wir hoffen, dass wir bald die für die Studie vorgesehene Anzahl von Probanden erreichen werden.“

Alzheimer Science (AS): „Es gibt einen großen Bedarf an placebokontrollierten Studien zum TPS. Wie beurteilen Sie den Placebo-Effekt?“

„Wir gehen davon aus, dass die lang anhaltenden Verbesserungen und Wirkungen des TPS auch bei fortgeschrittenen Erkrankungen dem Placebo-Effekt sicher weit überlegen sind.“
Dr. med. Gilson Shinzato

Dr. med. Gilson Shinzato - Interview - Alzheimer Science

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Der Placebo-Effekt ist nicht nur psychologisch, sondern bewirkt auch reale physiologische Veränderungen und ist bei jeder Behandlungsmethode wichtig, weshalb placebokontrollierte Studien erforderlich sind, um die tatsächliche Wirkung der Intervention zu messen. Obwohl wir wissen, dass auch bei TPS ein Placebo-Effekt möglich ist, glauben wir, dass die lang anhaltenden Verbesserungen und Wirkungen selbst bei fortgeschrittener Krankheit dem Placebo-Effekt sicher weit überlegen sind. Wir führen jetzt die RCT durch, um diese Hypothese zu testen, die tatsächliche Wirkung des Placebo-Effekts bei TPS zu messen und die Ergebnisse so bald wie möglich zu veröffentlichen.“

Alzheimer Science (AS): „Ihre Studie wird auch dazu beitragen, die Wirksamkeit, den Nutzen und die Sicherheit der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) bei Alzheimer-Demenz weiter zu belegen. Werden Sie nach Abschluss dieser Studie weitere Forschungen zu anderen Indikationen durchführen?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Natürlich! Wir planen bereits weitere Studien zur TPS bei Parkinson, Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma sowie bei Long-COVID. In unserer Rehabilitationsklinik gibt es viele Patienten mit diesen Erkrankungen, und die Durchführung dieser Studien wird die weitere Entwicklung der TPS-Forschung und der Behandlungsprotokolle unterstützen.“

Alzheimer Science (AS): „Welche Bedeutung hat die TPS heute oder in naher Zukunft für die Behandlung betroffener Patienten und wie sollte das TPS in multimodale Therapiekonzepte integriert werden?“

Dr. Gilson Shinzato (GS): „Wir geben der Transkraniellen Pulsstimulation einen sehr hohen Stellenwert in der Therapie und Rehabilitation, auch im Rahmen multimodaler Behandlungsmöglichkeiten. Bemerkenswert und relevant ist schließlich auch, dass die moderne Pharmakologie durch die vermutete Öffnung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) nachweislich durch TPS unterstützt wird, wie wir aus den Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Dr. Ulrich Sprick vom Alexius-Josef-Krankenhaus in Neuss wissen. Neben TPS gibt es in unserer Einrichtung auch eine Forschungslinie mit TMS und tDCS, und wir glauben, dass die Kombination von multimodalen nicht-invasiven Hirnstimulationstechniken (NIBS) bald alltäglich sein wird. Aber gerade TPS sollte den Patienten zur Verfügung stehen, da sie auch tiefe Hirnareale präzise erreicht und nur wenige Behandlungen nötig sind, um den Zustand von Patienten mit Alzheimer, Demenz, Parkinson, Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma deutlich zu verbessern.“

Alzheimer Science (AS): „Dr. Shinzato, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.“

Eine aktuelle Übersicht zu Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zum nicht-invasiven Hirnstimulations-Verfahren Transkranielle Pulsstimulation (TPS) ist hier einzusehen:

Transkranielle Pulsstimulation (TPS) – Studien

Referenzen:

1 Piovesan EC, Freitas BZ, Lemanski FCB, Carazzo CA. Alzheimer’s disease: an epidemiologic analysis on the number of hospitalizations and deaths in Brazil. Arq Neuropsiquiatr. 2023 Jun;81(6):577-584. doi: 10.1055/s-0043-1767827. Epub 2023 Jun 28. PMID: 37379869; PMCID: PMC10306998.

2 Lohse-Busch H, Reime U, Falland R. Symptomatische Behandlung des unresponsiven Wachheitssyndroms mit transkraniell fokussierten extrakorporalen Stoßwellen. NeuroRehabilitation. 2014 Jan 1;35(2):235-44. doi: 10.3233/NRE-141115. PMID: 24990026.

Über Dr. Gilson Tanaka Shinzato

Dr. med. Gilson Tanaka Shinzato
„Dr. med. Gilson Tanaka Shinzato“

Dr. med. Gilson Tanaka Shinzato ist Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Universität São Paulo, Brasilien. Der Spezialist für Schmerztherapie und Elektroneuromyographie forscht unter der Leitung von Prof. Linamara Battistella, Präsidentin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation des Hospital das Clínicas der Medizinischen Fakultät der Universität Sao Paulo (IMREA) und in Zusammenarbeit mit Prof. Orestes Forlenza, einem führenden Forscher auf dem Gebiet der Alzheimer-Krankheit am Institut für Psychiatrie der Universität von São Paulo, an der Stoßwellen-Therapie Transkranielle Pulsstimulation (TPS).

Der aktuellen TPS-Studie zur Alzheimer-Demenz werden weitere Studien zu Parkinson, Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma sowie zu  Long-COVID, auch in Zusammenarbeit mit Prof. Felipe Fregni, einem führenden Neurologen von der Universität São Paulo, folgen.

An den TPS-Studien beteiligt sind das IMREA – HCFMUSP, Abteilung für Rechtsmedizin, Bioethik, Arbeitsmedizin, physikalische Medizin und Rehabilitation, FMUSP, das Labor für Neurowissenschaften (LIM-27) sowie das Institut für Psychiatrie der HCFMUSP.

Kontakt:

Institute of Rehabilitation Medicine (IMREA)
University of São Paulo Medicine School Hospital (HCFMUSP)

Rua Domingo de Soto 100, ZIP code 04116-040, São Paulo, Brazil
Gilson Tanaka Shinzato, PhD Candidate and Research Leader

E-Mail: g.shinzato@hc.fm.usp.br