Neurologe Prof. Dr. med. M. Zülküf Önal im Interview zur Transkraniellen Pulsstimulation

„TPS bei Patienten mit Alzheimer-Demenz ist eine unverzichtbare additive Behandlungsoption zu den pharmakologischen Ansätzen“

Prof. Dr. M. Zülküf Önal ist Facharzt für Neurologie und hält eine Professur an der Atilim-Universität  in Ankara, Türkei. Er zählt zu den landesweit führenden Experten in Forschung und Behandlung von Alzheimer-Demenz, anderen Formen der Demenz, Morbus Parkinson, zerebrovaskulären Erkrankungen, Multiple Sklerose sowie anderen neurophysiologischen Erkrankungen.

Neben seiner akademischen Verpflichtungen betreibt Prof. Önal zwei neurologische Kliniken in Ankara und Istanbul. Sein wissenschaftliches Engagement spiegelt sich in zahlreichen Studien und Publikationen wider, die in nationalen und internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Darüber hinaus ist er Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften und wissenschaftlicher Organisationen. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet Prof. Önal mit der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS).

Wir sprachen mit ihm über diese neue Therapieform, seine Erfahrungswerte sowie über die Chancen, die die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) für Patient:innen bieten kann.

Alzheimer Science (AS): „Herr Prof. Önal, als Wissenschaftler blicken Sie auf ein sehr großes Portfolio an veröffentlichten Forschungsarbeiten und Artikeln zurück. Wie sind Sie dazu gekommen, das Neurostimulationsverfahren Transkranielle Pulsstimulation (TPS) in Ihren Kliniken in Ankara und Istanbul einzusetzen?“

Prof. Zülküf Önal (Prof. Önal): „Wie uns allen bekannt ist, steigt die Prävalenz von Alzheimer und anderen neurophysiologischen Erkrankungen, und trotzdem sind die Fortschritte in der Behandlung noch längst nicht so weit, wie wir uns dies wünschen würden. Dies war der Auslöser für meine intensive Beschäftigung mit der TPS-Therapie und ich habe inzwischen ein festes Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Methode entwickelt. Auch unter Berücksichtigung meiner langjährigen Erfahrungen mit der Wirkweise der TMS-Therapie (TMS: Transkranielle Magnetstimulation – Anm. d. Red.) , erschien mir TPS als außerordentlich vielversprechende Therapieoption. Nachdem ich die Transkranielle Pulsstimulation in meiner Klinik in Ankara eingesetzt hatte und die positiven Resultate sah, war es für mich nur eine logische Konsequenz, die TPS auch in meiner Klinik in Istanbul zu etablieren. Weiterhin beabsichtige ich die Gründung eines TPS-Zentrums in Izmir, um möglichst vielen Alzheimer-Betroffenen in der Türkei diese neue Therapieoption anbieten zu können.“

AS: „Sie haben kürzlich eine Beobachtungsuntersuchung unter dem Titel „Revolutionary Add-on Therapeutic Concept for Alzheimer’s Disease“ veröffentlicht. Welche Ergebnisse konnten Sie in dieser ersten Arbeit aufzeigen?“

Prof. Önal: „Meine Ergebnisse habe ich in einer Posterpräsentation auf der „12th International Conference on Neurological Disorders & Stroke“ in Barcelona vorgestellt, mit Resultaten aus den ersten Behandlungsserien. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen in erstaunlich kurzer Zeit verbessert hatten. Darüber hinaus konnte ich eine sehr positive Veränderungen im psychischen Zustand meiner Patient:innen feststellen: Sie zeigten sich lebendiger, aufgeweckter, aktiver, humorvoller – kurz gesagt: glücklicher.“

AS: „Welches sind aus Ihrer Sicht die wahrscheinlichen Wirkungsmechanismen der TPS, die diese guten Behandlungsergebnisse bewirken?“

„Ich bin davon überzeugt, dass die TPS-Therapie auch bei anderen neurodegenerativen und neuropsychiatrischen Erkrankungen neben der Alzheimer-Krankheit wirksam sein kann.“
Prof. Dr. med. M. Zülküf Önal

Prof. Dr. med. M. Zülküf Önal

Prof. Önal: „Ich bin davon überzeugt, dass die TPS-Therapie auch bei anderen neurodegenerativen und neuropsychiatrischen Erkrankungen neben der Alzheimer-Krankheit wirksam sein kann. Dies liegt vermutlich an der Revaskularisierung und Aktivierung der Mechanorezeptoren durch die mechanische Wirkung und der Freisetzung von Wachstumsfaktoren durch die niedrigenergetischen Stoßwellen-Impulse der Transkraniellen Pulsstimulation.“

AS: „Welche weiteren Indikationen sehen Sie für die TPS?

Prof. Önal: „Vor allem denke ich, dass die TPS-Behandlung, von der wir wissen, dass sie eine Verbesserung des Gedächtnisses bewirkt und eine zielführende Therapieoption sein wird bei Einschränkungen von Bewegungskontrolle und Bewegungskoordination, bei der Verbesserung der Aufmerksamkeit und Konzentration, bei psychischen Störungen und insbesondere depressive Verstimmungen.“

AS: „Die Forschung rund um die TPS und andere Neurostimulationsverfahren schreitet zügig voran. Obwohl einige dieser Methoden bei bestimmten Indikationen wissenschaftlich anerkannt sind und erfolgreich angewendet werden, sind sie sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Fachleuten wenig bekannt und kommen daher selten zum Einsatz. Warum glauben Sie, ist das so?“

Prof. Önal: „Das ist tatsächlich fast überall auf der Welt noch der Fall. Der Hauptgrund dafür könnte sein, dass unsere Kolleg:innen in der medizinischen Gemeinschaft aufgrund von Bedenken wegen eventueller Kunstfehler gegenüber neuen Behandlungsmethoden zurückhaltend und distanziert sind. Und natürlich wird zunächst immer eine „Evidenz-basierte Therapie“ gefordert, was meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß ist, da dies zu zeitaufwendig und kostenintensiv ist.

Auch die Kosten der TPS-Behandlung sind ein Faktor. Da die Kosten für diese Therapiemethode noch relativ hoch sind, können sie natürlich eine Barriere für viele Patient:innen und deren Angehörige darstellen. Denn noch übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherungen und Sozialversicherungsträger die Kosten für solche Behandlungen in der Regel nicht, was die Zugänglichkeit weiter einschränkt. Dennoch ist das Potenzial dieser Methode enorm und die kontinuierliche Forschung auf diesem Gebiet wird hoffentlich dazu beitragen, einige dieser Hindernisse bald zu überwinden.“

AS: „Die mögliche Zulassung der Alzheimer-Medikamente Lecanemab und Donanemab auch in Europa wird aktuell hitzig diskutiert. Während Studien statistisch eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs bei frühem Alzheimer zeigen, treten schwerwiegende Nebenwirkungen auf und die Behandlungskosten sind enorm hoch – etwa 26.500 US-Dollar pro Jahr und Patient, wobei in den USA jedenfalls ein Teil der Kosten privat übernommen werden muss. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen?“

Prof. Önal: „Meiner Meinung nach wird der Einsatz dieser Medikamente im Moment noch zu sehr beschleunigt. Wir wissen noch zu wenig darüber, was die schwerwiegenden Nebenwirkungen und die Langzeitanwendung tatsächlich verursachen können. Deshalb sind auch viele meiner Kolleg:innen weltweit noch gegen die breite Anwendung dieser Medikamente zum jetzigen Zeitpunkt. Hier ist noch viel mehr Forschung nötig, insbesondere in Bezug auf die Langzeitwirkungen. Darüber hinaus sind die hohen Kosten der Behandlung an sich auch schon ein großes Problem.“

AS: „In Bezug auf die Alzheimer-Ursachenforschung wird die Amyloid-Hypothese immer wieder hinterfragt. Andere potenzielle Faktoren wie Tau, Astrozyten sowie Viren und Bakterien werden ebenfalls erforscht. Zum Beispiel wurde letztes Jahr das Epstein-Barr-Virus als Auslöser für Multiple Sklerose identifiziert. Was denken Sie über die aktuelle Forschung zu den Alzheimer-Ursachen?“

„Neben der weiteren Forschung zur Entstehung von Alzheimer wird es tatsächlich immer wichtiger, aktiv vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen.“
Prof. Dr. med. M. Zülküf Önal

Prof. Dr. med. M. Zülküf Önal

Prof. Önal: „Die bisher zu diesem Thema gewonnenen Erkenntnisse sind zwar sehr wertvoll, aber wie wir in der tatsächlichen Behandlung sehen, kann die Zerstörung der Amyloid-Plaques die Krankheit allein nicht aufhalten, sondern, wenn überhaupt, lediglich ihre Verschlimmerung verlangsamen. In diesem Fall kann man sagen, dass die Amyloide allein nicht für die Erkrankung und ihren Verlauf verantwortlich für  sind. Neben der weiteren Forschung zur Entstehung von Alzheimer wird es tatsächlich immer wichtiger, aktiv vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. RECODE, eine der seriösen Studien zur Ernährung, wurde zum Beispiel bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Maßnahmen auch im Bereich der Ernährung sind sowohl für die Behandlung als auch für die Vorbeugung sehr vielversprechend.“

AS: „Sie besuchen internationale Kongresse und halten Vorträge zu Ihren Arbeiten. Wie reagieren Ihre Kolleg:innen auf das Thema Neurostimulation?

Prof. Önal: „Ein Teil unserer Kollegenschaft steht der Behandlung traurigerweise noch nicht positiv gegenüber. Aber ich denke, dass wir dies mit der Zeit überwinden werden. Ich sehe auch, dass die Wissenschaftler:innen, die sich heute der TPS-Behandlung und -Forschung widmen, vor großen Herausforderungen stehen, denn wir dürfen nicht ignorieren, dass alles Neue, und sei es noch so gut, erst einmal kritisch gesehen wird. Wir müssen weitere Studien zu diesem Thema abwarten und die Wirksamkeit der Behandlung immer umfangreicher nachweisen. Das wird zum Ziel führen.“

AS: „Die TPS hat in Studien bereits bewiesen, dass sie für die Patienten sicher und gut verträglich ist. Auch ihre Nebenwirkungsarmut und die vergleichsweise äußerst einfache Anwendung am bzw. für die Patient:innen wollen wir nicht unerwähnt lassen. Was braucht es Ihrer Meinung nach, um die TPS so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen zu können?

Prof. Önal: „In Bezug auf die Patient:innen: Neben informierender kontinuierlicher Medien-Arbeit, und damit meine ich nicht nur Zeitungen und das Fernsehen, sondern auch die sozialen Medien, über die sich die Menschen heutzutage auch zu medizinischen Themen informieren, halte ich es für besonders wichtig, die Kosten für die TPS-Behandlung zu senken. Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis Krankenkassen und Sozialträger in den verschiedenen Ländern die Kosten übernehmen. Daher muss die Therapie für die Betroffenen einfach leistbarer werden. Auch deshalb ist es wichtig, die Anzahl der wissenschaftlichen Studien zur TPS deutlich zu erhöhen und die Forschung voranzutreiben. Nur so kann die TPS in wenigen Jahren zum Standard werden.“

AS: „Zum Schluss, Prof. Önal: Wo sehen Sie die Transkranielle Pulsstimulation in 10 Jahren?“

Prof. Önal: „Ich erwarte, dass die TPS sich in naher Zukunft und nicht erst in 10 Jahren durchsetzen wird und ich denke, dass sie eine unverzichtbare additive Behandlungsoption zu den pharmakologischen Ansätzen sein wird.“

AS: „Herr Prof. Önal, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.“