Viren als potenzielle Auslöser für Alzheimer-Erkrankung

Neue Studien zeigen Korrelation zwischen viralen Infektionen und Alzheimer

Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass auch Viren als mögliche Auslöser für neurodegenerative Erkrankungen in den Fokus der Forschung geraten sind. Die Zusammenhänge zwischen Virusexposition und Neuroinflammation sowie Neurodegeneration werden derzeit intensiv untersucht.

Jüngste Forschungen haben bereits auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen einem gesteigerten Risiko für Multiple Sklerose nach einer vorausgegangenen Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) hingewiesen. Zwei neue Studien geben jetzt weitere Einblicke und zeigen einmal mehr auf, welche Rolle Virusinfektionen bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen spielen können.

Viren scheinen mehr Einfluss auf Nervenkrankheiten zu haben als bislang vermutet.

In einer amerikanischen Studie geht der Einfluss von Virus-Infektionen auf neurodegenerative Erkrankungen aus Gesundheitsdaten von über 800.000 Menschen deutlich hervor. Das Zentrum für Alzheimer und verwandte Demenzerkrankungen (CARD), National Institute on Aging und National Institute of Neurological Disorders and Stroke, National Institutes of Health, Bethesda, MD, USA publizierte seine neueste Daten dazu im Fachmagazin „Neuron“.

„Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse, die das Epstein-Barr-Virus mit einem erhöhten Risiko für Multiple Sklerose in Verbindung bringen, sowie der zunehmenden Sorge über die neurologischen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, haben wir mögliche Zusammenhänge zwischen viralen Expositionen und dem Risiko für neurodegenerative Erkrankungen untersucht,“ so Studienleiterin Kristin S. Levine.

Zu Beginn ihrer Studie verwendete das Forschungsteam eine finnische Datenbank, aus der sie die Gesundheitsdaten von 300.000 Patienten analysierten. Im Mittelpunkt standen dabei Alzheimer, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Demenz, Multiple Sklerose, Parkinson und vaskuläre Demenz. Die Forschenden suchten nach möglichen Zusammenhängen zwischen diesen Erkrankungen und viralen Infektionen wie Windpocken, Epstein-Barr, Meningitis, Hepatitis oder Influenza.

Die Analyse ergab bei den 300.000 Patient:innen insgesamt 45 Korrelationen, was darauf hindeutet, dass die betroffenen Personen zuvor teilweise dieselben Viruserkrankungen durchlebt hatten. Zur Untermauerung dieser Ergebnisse werteten die Wissenschaftler:innen zusätzlich 100.000 Patient:innen-Daten aus einer britischen Datenbank aus und fanden dabei 22 weitere Korrelationen.

Virale Enzephalitis und Alzheimer-Demenz am häufigsten assoziiert

Die Zeitspanne zwischen einer Viruserkrankung und dem Auftreten einer neurodegenerativen Krankheit variierte dabei zwischen einem und 15 Jahren. Bei einigen Erkrankungen stellten die Forschenden deutlich häufiger Zusammenhänge mit bestimmten Viren fest. „Die stärkste Assoziation bestand zwischen der Exposition gegenüber viraler Enzephalitis und der Alzheimer-Krankheit. Influenza mit Lungenentzündung war signifikant mit fünf der sechs untersuchten neurodegenerativen Erkrankungen verbunden“, so die Forschenden. „Auch die Assoziation zwischen Epstein-Barr und Multipler Sklerose konnten wir mit unseren Daten bestätigen.“

Trotz ihrer Ergebnisse sind sich die Wissenschaftler:innen darüber im Klaren, dass dies allein noch kein Beweis dafür ist, dass Viren die degenerativen Erkrankungen auslösen können. Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass sie eine Umkehrung ihrer These festgestellt haben. Die Menschen, die an einer dieser Erkrankungen leiden, könnten eine erhöhte Anfälligkeit für Viruserkrankungen besitzen. Das zeigte sich bereits in Tierversuchen, wie die Forschenden erklären: „Wir kennen das bereits aus Tiermodellen und konnten dies in der Corona-Pandemie auch verstärkt bei Alzheimer-Patienten beobachten.“

Unbestreitbare Verbindung zwischen Viren und schweren Erkrankungen

Dennoch bestehe unbestreitbar eine Verbindung zwischen den untersuchten Viren und den schweren Erkrankungen. Weitere Untersuchungen und Studien werden erforderlich sein, um festzustellen, ob die Viren tatsächlich die Auslöser sind oder ob es eine bisher unerkannte Verbindung gibt, fasst das amerikanische Forschungsteam zusammen.

Uni Freiburg: Virale Infekte können Jahrzehnte später Alzheimer auslösen

Ob und inwieweit allerdings Virus-Infektionen in jüngeren Lebensjahren eine Rolle bei der späteren Entstehung von Alzheimer-Demenz spielen, war Forschungsgegenstand einer neuen Studie der Universität Freiburg. Die Wissenschaftler:innen zeigen darin in einer Studie mit Mäusen einen Zusammenhang zwischen Entzündungen und Alzheimer auf. Die Forschenden vermuten, dass diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind, wie die Universität Freiburg in einer Mitteilung berichtet. „Das können beispielsweise chronische Entzündungen wie Chlamydien sein, die im Alter von 35 Jahren auftreten“, erläuterte die Leiterin der Forschungsgruppe, Lavinia Alberi Auber, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Um den Zusammenhang zu untersuchen, entwickelten die Forschenden ein neues Mausmodell, das mit einem speziellen Polymer namens PolyI:C arbeitet. Dieses Molekül fungiert als eine Art Pseudo-Virus und löst im Organismus eine ähnliche Reaktion aus wie bei einer viralen Infektion.

Die Mäuse erhielten zweimal PolyI:C injiziert, einmal vor der Geburt während der Schwangerschaft der Mutter und ein zweites Mal im Erwachsenenalter. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler die Auswirkungen der Entzündungsreaktion auf das Gehirn der Mäuse über deren gesamte Lebensspanne hinweg.

Bislang lag der Fokus der Forschenden vorwiegend auf Infektionen im späteren Leben. „Wir konnten erstmals nachweisen, dass chronische Entzündungen, die früh im Leben aufgrund eines viralen Erregers entstehen, einen entscheidenden Einfluss auf Veränderungen im Gehirn im Alter haben“, sagte Alberi Auber. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal „Brain, Behavior, & Immunity“ veröffentlicht.

Quellen:
https://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(22)01147-3
https://science.apa.at/power-search/5036538467378184940