Alzheimer, Demenz und Parkinson zunehmend Thema in den Medien

SPIEGEL, Spektrum der Wissenschaft und andere: Information zu Prävention und Forschung wird relevanter

Alzheimer, Demenz und Parkinson sind als häufigste neurodegenerative Erkrankungen mit gesamt rund zwei Millionen Betroffenen allein in Deutschland und gemäß WHO weltweit über 65 Millionen erkrankten Menschen eine Kernproblematik unserer Zeit. Die Zahl der Patienten  mit Demenz wird voraussichtlich bis 2050 auf etwa 152,8 Millionen ansteigen1 und die Global Burden of Disease Studie 2019 schätzt, dass die Zahl der Parkinson-Patienten weltweit bis 2040 auf 12,9 Millionen steigen könnte2. Diese Zahlen verdeutlichen die immense Bedeutung der Forschung, der Prävention und auch der gesellschaftlichen Information durch die Medien in diesen Bereichen.

Chronische und neurodegenerative Krankheiten überfordern Gesundheitssysteme schon heute

Längst berichten die Medien vielfältig über diese Erkrankungen, da sie von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind. Doch insbesondere seit Beginn des Jahres 2024 rückt das Gesamtthema nochmals mehr in den Fokus, denn allein die Pflegesituation und die Pflegekosten haben sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschärft.

So stiegen etwa  in Deutschland die Eigenanteile, die Pflegeheimbewohner aus eigener Tasche zu zahlen haben, erheblich: Im Jahr 2023 wuchsen diese im Bundesdurchschnitt um 14 Prozent, was zu einer durchschnittlichen monatlichen Eigen-Belastung der Betroffenen von 2.778 Euro führte3. Ende April 2024 gab Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zudem bekannt, dass im Jahr 2023 die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland unerwartet stark angestiegen ist. Anstelle des demografisch erwarteten Zuwachses von rund 50.000 Personen gab es tatsächlich über 360.000 neue Pflegefälle, viele davon an Demenz und anderen neurodegenerativen Krankheiten leidend. Lauterbach bezeichnete diesen Anstieg als „explosionsartig“4.

Dies führt zu einer neuen Offensivität in den Medien. Waren diese Indikationen vormals nur Randnotizen, treten nun vor allem Information und Aufklärung zur allgemeinen Prävention in den Vordergrund und auch über neue Entwicklungen in der Forschung wird umfangreich und differenzierter als vormals berichtet.

„Klar im Kopf – Neue Forschung: Wie wir Alzheimer und Parkinson vorbeugen können“

SPIEGEL Nr. 25 – 15.06.2024So ist Prävention beispielsweise Titelthema des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL in der Ausgabe Nr. 25 vom 15.06.2024. SPIEGEL-Autor Jörg Blech sprach mit Wissenschaftlern darüber, was Vorbeugung und ein achtsamer Lebensstil bewirken können und zeigt in seinem umfassenden Artikel auf, dass Gehirngesundheit nicht nur im Gehirn allein stattfindet, sondern mit der Gesundheit des gesamten Organismus zu tun hat und dass Krankheiten wie Alzheimer, Demenz und Parkinson nicht einfach so ganz plötzlich auftreten, sondern sich schleichend über Jahrzehnte hin entwickeln – auch fernab des Kopfes: „Unser Gehirn funktioniert dann gut, wenn auch der Rest gut funktioniert“, fasst Neurologin Daniela Berg, Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) im SPIEGEL zusammen.

Die Neurologin und ihr Team erforschen, wie Störungen in anderen Körperregionen den Verlauf der Parkinson-Krankheit beeinflussen können. Dabei haben sie seit einiger Zeit eine gestörte Darmflora im Fokus: Wenn das Gleichgewicht der Mikroben durch falsche Ernährung, Schadstoffe oder häufige Antibiotikaeinnahme gestört ist, führt dies zu Veränderungen in der Darmwand und zu Entzündungsvorgängen. Diese Prozesse ermöglichen es Schadstoffen, ins Blut und weiter ins Gehirn zu gelangen, wodurch neurodegenerative Erkrankungen entstehen können. Solche Zusammenhänge gelten inzwischen nicht nur für Parkinson, sondern auch für Alzheimer und andere Formen des geistigen Verfalls als erwiesen. Externe Faktoren spielen demnach eine entscheidende Rolle für die geistige Gesundheit im Alter und viele dieser Risikofaktoren lassen sich vermeiden.

So beschäftigt sich der SPIEGEL-Artikel auch ausführlich mit den sogenannten „Big 12“. Dies sind die 12 Haupt-Risikofaktoren für neurodegenerative Erkrankungen, die 28 renommierte Experten in einem Übersichtsartikel in der Fachzeitschrift „THE LANCET“ im Jahr 2020 zusammengefasst haben5 : Bluthochdruck, Rauchen, Fettleibigkeit, geringe Bildung, Depressionen, Diabetes Typ 2, körperliche Inaktivität, Schwerhörigkeit, soziale Isolation, exzessiver Alkoholkonsum, traumatische Hirnverletzungen und Luftverschmutzung sind allesamt Risikofaktoren, die zusammen etwa 40 Prozent der weltweiten Demenzerkrankungen ausmachen (siehe hierzu auch: https://alzheimer-science.com/alzheimer-demenz/alzheimer-praevention-wie-vorbeugen ).

„Unser Gehirn funktioniert gut, wenn auch der Rest gut funktioniert.“

Dass wir unsere Gesundheit und damit auch das Funktionieren unseres Gehirns selbst aktiv beeinflussen können, steht heute in der Wissenschaft außer Frage. Die Ausrede, diese Erkrankungen seien genetisch bedingt, trifft nur in wenigen Fällen zu, denn man geht davon aus, dass bei nur 10 Prozent der Betroffenen eine genetische Prädisposition vorhanden ist – im Umkehrschluss sind also bei 90 Prozent der Menschen auch der Lebensstil und Umweltfaktoren ausschlaggebend und hier kann der Einzelne viel für sich selbst tun.

Ein besonderes Augenmerk legt der SPIEGEL-Artikel neben körperlicher und geistiger Aktivität auf die Warnung vor dem Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel, der mit einem deutlich erhöhten Demenzrisiko verbunden ist. Diese Produkte enthalten selten Ballaststoffe und bestehen hauptsächlich aus Zucker, Fett und zahlreichen chemischen Substanzen wie Antioxidationsmitteln, Geschmacksverstärkern, Emulgatoren, Feuchthaltemitteln, Komplexbildnern und Konservierungsstoffen. Solche industriell hergestellten Nahrungsmittel, zu denen Fast-Food-Burger, Tütensuppen, Mikrowellen-Fertiggerichte, zusammengepresste Fisch- oder Hähnchen-Nuggets und Energydrinks gehören, hätten unsere Großeltern kaum als Lebensmittel anerkannt, so der SPIEGEL.

Die zentrale Botschaft des SPIEGEL-Artikels ist klar: Die Prävention von Alzheimer, Demenz und Parkinson erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Durch einen gesunden Lebensstil, regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung sowie aktive soziale Interaktionen kann das Risiko, an diesen Krankheiten zu erkranken, erheblich reduziert werden. Die Forschung bietet vielversprechende Ansätze, doch letztendlich bleibt die Prävention der Schlüssel zur Erhaltung der geistigen Gesundheit im Alter.

Kurz widmet sich der SPIEGEL natürlich auch den neuen Antikörpern Lecanemab und Donanemab aus den USA. Diese Antikörper stellten einen wichtigen Fortschritt dar, seien aber noch nicht der endgültige Durchbruch, so Prof. Dorothee Saur von der Universität Leipzig im SPIEGEL. Die Effekte auf Kognition seien gering, und es bleibe unklar, ob Patienten im Alltag davon profitieren könnten. Zudem sind die Medikamente für Patienten mit vaskulärer Demenz ungeeignet. Die Behandlung mit Lecanemab etwa erfordert alle zwei Wochen eine einstündige Infusion in einer Praxis oder einem Krankenhaus und birgt Risiken wie Schwellungen oder Blutungen im Gehirn. Diese Nebenwirkungen erfordern regelmäßige Kernspin-Untersuchungen. Darüber hinaus: Die Behandlungskosten liegen bei etwa 25.000 Euro pro Jahr und je Patient und müssten vermutlich lebenslang fortgesetzt werden. Es ist daher deutlich günstiger und effektiver, das Gehirn durch einen gesunden Lebensstil in gutem Zustand zu halten.

Spektrum der Wissenschaft: Therapie – Neue Waffen gegen Alzheimer

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT – Dossier 2/2024Auch „Spektrum der Wissenschaft“, eine der renommiertesten wissenschaftlichen Publikationen im deutschsprachigen Raum, das regelmäßig Sonderpublikationen zum Thema „Gehirn & Geist“ herausgibt, berichtet in seinem Dossier 2/2024  in verschiedenen Artikeln zu Demenz und dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Die Hildesheimer Wissenschaftsjournalistin Ulrike Gebhardt beschäftigt sich dabei sachlich und kritisch ebenfalls den neuen Medikamenten aus den USA, die möglicherweise auch in Europa zugelassen werden.

Die Autorin bietet eine umfassende Analyse der neuen therapeutischen Antikörper Lecanemab und Donanemab, die sich gegen Proteinablagerungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten richten. Diese Medikamente zeigten in klinischen Studien zwar erstmals ermutigende Ergebnisse, indem sie den kognitiven Abbau und andere typische Verschlechterungen der Erkrankung statistisch verlangsamen – wenn auch mit bescheidenen Effekten. Dennoch erhielt Lecanemab im Jahr 2023 die Zulassung der amerikanischen FDA, während Donanemab noch auf die Entscheidung wartet. Die Erwartung ist, dass beide Medikamente bald auch in Europa zugelassen werden könnten.

Lecanemab und Donanemab keine Wundermittel: Risiken, wenig Wirkung, für die Gesundheitssysteme unbezahlbar

Trotz der ermutigenden Ergebnisse bleibe die Wirkung der neuen Antikörper begrenzt und werde von Fachleuten unterschiedlich und auch höchst kritisch bewertet, so der Artikel. Während einige Forscher hoffen, dass eine längere Behandlung zu besseren Ergebnissen führen könnte, weisen andere auf die minimalen therapeutischen Effekte hin. Zudem sind die Antikörpertherapien, wie bekannt, teuer, langwierig und mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Insbesondere können sie Hirnschwellungen und -blutungen verursachen, die in einigen Fällen sogar tödlich enden.

Der Artikel beschreibt auch, dass Frauen, allgemein noch wenig bekannt, offenbar weniger von der Therapie profitieren als Männer. Diese Geschlechtsunterschiede sind von klinischer Bedeutung, wurden aber in den Studienberichten kaum thematisiert. Weiterhin erhöht sich das Risiko von Nebenwirkungen bei Personen mit bestimmten genetischen Prädispositionen, wie der Genvariante APOE4.

Die hohen Kosten und der enorme Aufwand für die Behandlung werfen Fragen zur breiten Anwendbarkeit der Antikörper auf: Das Deutsche Netzwerk Gedächtnisambulanzen hat berechnet, dass sich die Behandlungskosten für alle überhaupt geeigneten Alzheimer-Patienten in 27 EU-Ländern bei vergleichbaren Preisen wie in den USA auf 133 Milliarden Euro pro Jahr belaufen würden. Für die Gesundheitssysteme in diesen Ländern wäre das finanziell nicht tragbar. Auch in Gebhardts Bericht betonen Experten wie Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft der Alzheimer Forschung Initiative, daher die Notwendigkeit, weiterhin in unterschiedliche Richtungen zu forschen und nicht nur auf die Amyloid-Hypothese zu setzen. Alzheimer sei eine multifaktorielle Krankheit, die durch eine Vielzahl von genetischen, entzündlichen und infektiösen Prozessen beeinflusst werde. Und Prof. Christian Behl, Direktor des Instituts für Pathobiochemie an der Johannes-Guttenberg-Universität Mainz mahnt an: „Wenn man den aktuellen Hype um die minimalen therapeutischen Effekte verfolgt, scheint es weniger um die Menschen als um Rechthaberei zu gehen.“

Insgesamt stellt der Artikel klar, dass die neuen Antikörpertherapien zwar einen wichtigen Fortschritt darstellen, aber keine Wunderwaffen sind. Sie sind ein erster Schritt auf dem Weg zu einer effektiveren Behandlung von Alzheimer, doch es bedarf weiterer Forschung und einer breiteren Perspektive, um diese komplexe Krankheit zu bekämpfen.

Noch unter dem Radar der Medien: Nicht-invasive Hirnstimulation (NIBS)

Diese breitere Perspektive umfasst auch die nicht-invasiven Hirnstimulations-Methoden (NIBS), die zwar innerhalb der Wissenschaft als Hoffnungsträger in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen angesehen werden. In den Medien und damit im Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit kommen sie allerdings bislang kaum vor.

Die nicht-invasiven Hirnstimulationsmethoden (NIBS) haben in den letzten Jahren signifikante Fortschritte gemacht und sind mittlerweile teils in klinische Leitlinien aufgenommen worden. Zu diesen Methoden gehören die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS). Vor allem im Bereich der Alzheimer-Therapie ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) auf dem Weg zur Evidenz und wird mittlerweile, mit Schwerpunkt Deutschland, weltweit eingesetzt und intensiv auch bei anderen Indikationen erforscht.

Welche Möglichkeiten die TPS bietet und sie damit für Betroffene relevant macht, wurde zwar schon einige Male in Beiträgen der Sender RTL, ORF und SERVUS TV sowie einigen Printmedien eindrucksvoll dargestellt, aber noch führen die NIBS eher ein Schattendasein in der medialen Landschaft – auch wenn Wissenschaftler und Institutionen längst dringend fordern, nicht-invasive Hirnstimulations-Methoden zeitnah und flächendeckend zugänglich zu machen (siehe hierzu auch:  https://alzheimer-science.com/news/neurowissenschaften/nicht-invasive-hirnstimulation-essenziell-gesundheitsversorgung )

Die aktuellen Ausgaben SPIEGEL Nr. 25 – 15.06.2024 und SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT – Dossier 2/2024 sind – auch für Fachleute – höchst lesenswert und überall im Zeitschriftenhandel erhältlich.

Sonstige Quellen:

1 https://aaic.alz.org/releases_2021/global-prevalence.asp
2 https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2021.776847/full
3 https://www.aok.de/pp/bv/nachricht/entwicklung-der-eigenanteile-in-der-pflege
4 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/pflege-beduerftige-anstieg-lauterbach-100.html
5 https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)30367-6/fulltext