Entstehung und Verlauf von Demenz-Erkrankungen

Haben Persönlichkeitsmerkmale Einfluss auf das Demenz-Risiko und den Krankheitsverlauf?

Das fortgeschrittene Alter wird allgemein als der bedeutendste Risikofaktor für die Entwicklung von Alzheimer und Demenz angesehen. Zusätzlich zu diesem Hauptfaktor existieren zahlreiche andere Einflüsse, die die Entstehung dieser Gehirnerkrankung fördern können. Jüngste Forschungsergebnisse deuten nun darauf hin, dass auch spezifische Persönlichkeitseigenschaften das Risiko und den Verlauf einer Demenzerkrankung erhöhen beziehungsweise mildern können.

Eine aktuelle Meta-Studie von Wissenschaftler:innen der University of California, Davis, und der Northwestern University hat ergeben, dass Personen mit Charakterzügen wie Sorgfalt, Geselligkeit und einer generell positiven Lebenseinstellung seltener an Demenz erkranken als jene, die zu Neurotizismus und negativen Emotionen neigen. Diese Beobachtung scheint weniger mit direkten physischen Veränderungen im Gehirn von Demenz-Patient:innen zusammenzuhängen, sondern vielmehr mit der individuellen Fähigkeit, wie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale den Umgang mit den Herausforderungen einer Demenzerkrankung beeinflussen. Die Studie wurde im „Journal of the Alzheimer’s Association“ veröffentlicht.

Über 44.000 Personen in Studie zu „Big-Five“-Persönlichkeitseigenschaften analysiert

Emorie Beck, Assistenzprofessorin für Psychologie an der UC Davis und Hauptautorin des Artikels, erklärte, dass frühere Forschungsarbeiten Korrelationen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Demenz bereits zu finden versucht hatten, diese jedoch überwiegend geringfügig waren und hauptsächlich spezifische Bevölkerungsgruppen betrafen.

In ihrer Untersuchung zum Verhältnis von Persönlichkeit und Demenzrisiko analysierten die Forschenden jetzt Daten aus acht Studien mit mehr als 44.000 Personen aus vier Ländern auf zwei Kontinenten, von denen 1.703 eine Demenzerkrankung entwickelten.

Die Studie berücksichtigte die sogenannten „Big-Five“-Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmenden, die im Bereich der Persönlichkeitspsychologie als grundlegendes Modell angesehen werden. Diese Eigenschaften, die in unterschiedlichem Maße bei jedem Menschen vorliegen, umfassen:

  1. Offenheit: Die Bereitschaft einer Person, neue Erfahrungen zu machen.
  2. Gewissenhaftigkeit: Das Maß an Motivation, Disziplin und Zuverlässigkeit einer Person.
  3. Extraversion: Der Grad der Geselligkeit und Kontaktfreudigkeit einer Person.
  4. Verträglichkeit: Wie kooperativ, freundlich und empathisch sich jemand verhält.
  5. Neurotizismus: Das Ausmaß an Ängstlichkeit, Gehemmtheit, Launenhaftigkeit und Unsicherheit einer Person.

Des Weiteren flossen Faktoren des subjektiven Wohlbefindens, wie positiver und negativer Affekt, in die Analyse ein. Der positive Affekt bezieht sich auf Emotionen wie Freude und Energie, während der negative Affekt negative Gefühle wie Traurigkeit und Angst umfasst.

Beck erklärt, dass man generell davon ausging, dass die Persönlichkeit eines Menschen durch das Verhalten das Demenzrisiko beeinflusst. Zum Beispiel neigen Menschen mit hohen Werten in Bereich Gewissenhaftigkeit dazu, sich gesünder zu ernähren und deutlich mehr auf ihre Gesundheit zu achten.

Spezifische Persönlichkeitseigenschaften können den Schweregrad von Demenzeinschränkungen reduzieren

Die Forschenden stellten fest, dass hohe Ausprägungen in negativen Eigenschaften (wie Neurotizismus und negativer Affekt) sowie niedrige Ausprägungen in positiven Eigenschaften (wie Gewissenhaftigkeit, Extraversion und positiver Affekt) mit einem erhöhten Risiko für eine Demenzdiagnose korrelieren. Hohe Werte in Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Lebenszufriedenheit zeigten in einer kleineren Subgruppe von Studien einen Schutzeffekt.

Unterschiede hängen nicht unbedingt von Schädigungen es Gehirngewebes ab

Die Studie hebt hervor, dass die Unterschiede in der Demenzentwicklung nicht unbedingt mit physischen Schädigungen des Gehirngewebes bei Patient:innen zusammenhängen. Stattdessen scheint es um die Art und Weise zu gehen, wie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale den Umgang mit den durch Demenz verursachten Beeinträchtigungen beeinflussen. Trotz vorhandener Gehirnschäden können Menschen mit diesen Merkmalen Wege finden, Beeinträchtigungen zu bewältigen oder ihnen entgegenzuwirken, wie die Wissenschaftler berichten. Einige Studien haben gezeigt, dass Menschen trotz pathologischer Veränderungen im Gehirn bei kognitiven Tests nur geringe Beeinträchtigungen aufweisen.

In der Untersuchung wurden  auch andere Faktoren, die möglicherweise den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, Demenzrisiko und Neuropathologie beeinflussen könnten, einschließlich Alter, Geschlecht und Bildungsniveau, berücksichtigt.  Die Studie ergab dabei kaum signifikante Effekte dieser Variablen, mit der Ausnahme, dass die schützende Wirkung von Gewissenhaftigkeit mit steigendem Alter der Probanden zunahm.

Beck und Kolleg:innen zeigen sich von den Ergebnissen beeindruckt und betonen, dass diese Resultate Hoffnung geben. Auch wenn die Krankheit selbst nicht verhindert werden kann, bestehe die Möglichkeit, die klinischen Symptome zu mildern und das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen zu reduzieren.

Die Wissenschaftler:innen sehen die Studie als einen ersten Schritt in der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Demenz. Zukünftige Forschungen sollen erweitert werden und unter anderem Menschen einschließen, die trotz pathologischer Veränderungen nur geringfügige Beeinträchtigungen zeigen.

Personalisierte Medizin: Psychologische Faktoren als weiterer Schlüssel in der Demenztherapie

Diese umfassende Meta-Analyse beleuchtet die bedeutende Rolle, die psychologische Faktoren, insbesondere Persönlichkeitsmerkmale, im Kontext der Demenzentwicklung und -bewältigung spielen. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit, diese Aspekte in zukünftige, stärker personalisierte medizinische Behandlungsansätze zu integrieren. Sie eröffnen neue Perspektiven für die Entwicklung konstruktiver Therapien, die nicht nur auf körperliche Symptome abzielen, sondern auch die psychologische Konstitution des Einzelnen berücksichtigen. Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen mit Demenz maßgeblich zu verbessern.

Quelle:

https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/alz.13523