Alzheimer: Einfluss epigenetischer Veränderungen nachweisbar

Von Umweltfaktoren zu therapeutischen Zielen: Wie aktuelle Studien das Verständnis und die Behandlung von Alzheimer erweitern

Im Jahr 2020 markierte ein bedeutender Schritt in der Demenzforschung einen Wendepunkt: Der „Ausschuss für Demenzprävention“ der angesehenen Zeitschrift The Lancet Neurology erweiterte die Liste der veränderbaren Risikofaktoren, die zur Prävention von Demenz beitragen könnten, um einen kritischen Faktor – die Luftverschmutzung.

Diese Ergänzung basierte auf der Erkenntnis, dass Partikelschadstoffe in der Luft die Entwicklung neurodegenerativer Prozesse beschleunigen. Dazu gehören Erkrankungen, die die Durchblutung von Gehirn und Herz beeinträchtigen, sowie die Bildung von Alzheimer-spezifischen Plaques durch Amyloid-Beta-Proteine und deren Vorläufer. Insbesondere wurden hohe Konzentrationen von Stickstoffdioxid, Feinstaub aus Verkehrsabgasen und Holzverbrennung in Privathaushalten mit einem erhöhten Risiko für Demenz in Verbindung gebracht.

Doch die Gefahr lauert nicht allein in der Luft. Eine Vielzahl anderer Umweltkontaminanten, darunter Pflanzenschutzmittel, Metalle, Schimmelpilztoxine, Mikroplastik, Mineralöle und industrielle Hilfsstoffe wie Weichmacher, zählen ebenfalls zu den Faktoren, die das Risiko für Alzheimer erhöhen können. Selbst Genussmittel wie Alkohol und Tabak, ebenso wie bestimmte Medikamente – beispielsweise Anticholinergika, die für eine breite Palette von Indikationen verschrieben werden – stehen im Verdacht, zur Alzheimer-Risikosteigerung beizutragen.

Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass zahlreiche Gene, deren Mutationen das Risiko für Alzheimer erhöhen, im Immunsystem verortet sind. Dabei lag der Fokus der Forschung allerdings hauptsächlich auf dem zentralen Immunsystem im Gehirn, da Alzheimer als Erkrankung des Gehirns betrachtet wird. Das Immunsystem im Blut, auch als peripheres Immunsystem bekannt, wurde hingegen weitgehend außer Acht gelassen.

Epigenetische Veränderungen im Blut-Immunsystem von Alzheimer-Patienten aufgedeckt

Eine neue Studie der Northwestern University in Illinois hat einen bedeutenden Durchbruch in der Alzheimer-Forschung erzielt: Sie hat epigenetische Veränderungen im Blut-Immunsystem von Alzheimer-Patienten aufgedeckt. Diese Entdeckung legt nahe, dass Umwelt- und Verhaltensfaktoren eine Rolle beim Risiko, an Alzheimer zu erkranken, spielen könnten. Interessanterweise zeigen die Ergebnisse, dass diese epigenetischen Anpassungen Gene betreffen, die für die Anfälligkeit für Alzheimer entscheidend sind. Dies könnte durch externe Einflüsse wie Virusinfektionen oder Umweltschadstoffe verursacht werden.

Das Forschungsteam unter der Leitung von David Gate, Assistenzprofessor für Neurologie an der Feinberg School of Medicine der Northwestern University, spekulierten, dass diese Veränderungen möglicherweise durch frühere Virusinfektionen, die Exposition gegenüber Umweltschadstoffen oder durch verschiedene Lebensstilfaktoren und Verhaltensweisen ausgelöst werden könnten. In ihrer Studie stellten sie fest, dass Immunzellen-Typ bei Alzheimer-Patienten Spuren epigenetischer Veränderungen aufweist.

Dieser innovative Befund eröffnet neue Wege für die Behandlung, indem er die Möglichkeit bietet, gezielt auf bestimmte Gene einzuwirken. Zudem betont er die kritische Bedeutung des peripheren Immunsystems im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit und bietet einen neuen Ansatzpunkt, um deren Fortschreiten zu verstehen und möglicherweise einzudämmen. „Es ist möglich, dass diese Ergebnisse die periphere Immunantwort mit dem Alzheimer-Risiko in Verbindung bringen“, so David Gate. „Wir haben noch nicht geklärt, ob diese Veränderungen eine Hirnpathologie widerspiegeln oder ob sie die Krankheit auslösen.“

Epigenetische Veränderungen durch offenes Chromatin gekennzeichnet

Er und sein Forschungsteam haben festgestellt, dass in den Immunzellen von Alzheimer-Patienten epigenetische Veränderungen vorkommen, die durch das Vorhandensein von offenem Chromatin gekennzeichnet sind. Chromatin, das die DNA in Zellen verpackt, wenn freigelegt, macht das Genom der Zelle anfälliger für Veränderungen. Bei weiteren Untersuchungen identifizierte Gate spezifisch, dass in diesen Immunzellen ein Rezeptor namens CXCR3 auf den T-Zellen stärker exponiert ist. Er vertritt die Ansicht, dass CXCR3 quasi als Antenne für T-Zellen dient, was ihnen ermöglicht, ins Gehirn einzudringen, obwohl T-Zellen normalerweise nicht ins Gehirn gelangen, da sie dort Entzündungen auslösen könnten.

Laut Gate sendet das Gehirn ein Signal aus, wenn es beschädigt ist, und die T-Zellen werden durch ihre „Antenne“ CXCR3 zu diesem Signal geleitet. Die Präsenz von T-Zellen im Gehirn kann potenziell schädlich sein, jedoch besteht Unklarheit darüber, ob diese Zellen auch reparative Funktionen im Gehirn übernehmen könnten. Darüber hinaus wurden epigenetische Veränderungen bei Entzündungsproteinen in weißen Blutkörperchen, insbesondere den Monozyten, entdeckt.

Die Forschungsergebnisse liefern zusammengefasst folgende Erkenntnisse: Epigenetische Modifikationen in den Immunzellen des Blutes von Alzheimer-Patienten könnten durch Umwelteinflüsse bedingt sein und damit Gene beeinflussen, die eine Rolle beim Alzheimer-Risiko spielen. Die Ergebnisse unterstreichen die wichtige Rolle des peripheren Immunsystems bei der Alzheimer-Krankheit, wobei T-Zellen in Reaktion auf Signale von Gehirnschäden aktiv werden könnten. Zudem eröffnet diese Studie die Möglichkeit, innerhalb des peripheren Immunsystems potenzielle Ziele für therapeutische Ansätze zu identifizieren, was neue Behandlungsmöglichkeiten für Alzheimer bietet.

Immunfunktion bei Alzheimer-Patienten wohl deutlich verändert

Die Forscher machten noch eine weitere wichtige Entdeckung: Epigenetische Modifikationen in den Entzündungsproteinen der weißen Blutkörperchen, speziell den Monozyten. Gate interpretiert die Befunde so, dass die Immunfunktion bei Alzheimer-Patienten signifikant verändert ist. Er spekuliert, dass Umweltfaktoren wie Schadstoffe oder im Laufe des Lebens durchgemachte Infektionen diese epigenetischen Veränderungen hervorrufen könnten.

Die Untersuchungsergebnisse legen zudem mehrere Gene offen, die als potenzielle therapeutische Ansatzpunkte für die Beeinflussung des peripheren Immunsystems dienen könnten. Als nächste Schritte in der Forschung sind präklinische Studien mit In-vitro-Kultursystemen und Tiermodellen vorgesehen, um die Wirksamkeit dieser Zielgene zu überprüfen.

Die Studie wurde am 9. Februar 2024 in „Neuron“ veröffentlicht:

https://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(24)00039-4